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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Der alte Mann im cremefarbenen Gewand schwebte näher und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Zacharias hörte zu, und was er hörte, ließ ihn innerlich erstarren. Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, denn darum hatten ihn gleich die ersten Worte des Alten gebeten, aber natürlich ahnte Florence, dass irgendetwas nicht mit rechten Dingen zuging, und sie fragte: »Was habt ihr da zu flüstern? Gibt es etwas, das ich nicht erfahren darf?«
    Ja, dachte Zacharias betroffen und versuchte sich vorzustellen, was die Worte des Alten bedeuteten, welche Konsequenzen sich aus ihnen ergaben, für ihn und auch für Florence. Aber je länger er über sie nachdachte, während einiger sehr intensiver Sekunden, desto mehr Sinn ergaben sie.
    »Zach?«
    Er sah sie an, für einen schmerzlichen Moment hin und her gerissen.
    »Hast du mich verstanden, Zacharias?«, fragte der Alte. »Hast du alles genau verstanden?«
    »Ja«, erwiderte er. »Ja, ich denke schon.«
    »Gut.« Der Alte wich zurück, wieder ohne die Beine zu bewegen. Grauschwarzer Rauch umwogte ihn. »Dann geht jetzt. Ich verlasse mich auf euch.« Und damit verschwand er.
    Zacharias trat aus der Luft auf eine Sprosse der Leiter. Vor ihm strahlte helles Licht durch die offene Tür und spiegelte sich glitzernd in Florences dunklen Augen, als sie einen forschenden Blick auf ihn richtete. »Was hat er dir gesagt?«
    Für einen weiteren schmerzlichen Moment rang Zacharias mit sich selbst. »Es war eine sehr persönliche Sache«, sagte er, und das entsprach der Wahrheit. »Ich erzähle sie dir, sobald ich Gelegenheit dazu habe.« Das war gelogen; dies konnte er ihr nicht anvertrauen.
    Er deutete auf die Tür, ergriff dann Florences Hand. »Komm jetzt. Wir müssen eine Welt retten, oder sogar viele Welten.«
    Gemeinsam traten sie durch den Übergang.

Zuflucht
    33
    F lackerndes Licht schlug ihnen entgegen, und ein Knistern und Klirren von brechendem, berstendem Glas. Zacharias wankte, von plötzlichem Schwindel erfasst, und schaffte es nicht, sich auf den Beinen zu halten. Er fiel, direkt neben eine Frau in mittleren Jahren, deren tote Augen ihn blicklos anstarrten. Blut rann ihr aus Mund und Nase, tropfte auf die vielen Glassplitter, die funkelnd auf dem Boden lagen, vermutlich Überbleibsel des Spiegels, in dem die Frau gefangen gewesen war.
    »Florence?«, brachte Zacharias hervor und stemmte sich hoch. Einige Splitter schnitten ihm in die Hände. Er entfernte sie und beobachtete, wie sich die kleinen Wunden sofort schlossen.
    »Ich bin hier, Zach.«
    Sie stand hinter ihm, an der Wand des Saals mit den Spiegeln, neben der Tür, durch die sie gekommen waren und die sich hinter ihnen geschlossen hatte. Ihre Umrisse verblassten schnell und verschwanden.
    »Der Rückweg ist abgeschnitten«, sagte Florence.
    »Er hat versprochen, uns zum Transferpunkt zu bringen, zum Knäuel.« Zacharias sah sich um. »Wo ist er?«
    Nur noch wenige Spiegel leuchteten, und ihr Licht führte einen aussichtslosen Kampf gegen die Dunkelheit. Schatten regierten den größten Teil des Saales, bis auf diesen kleinen Bereich an der Wand, wo Wüstensonnen in zwei hohen Spiegeln leuchteten, die sich schnell auf ihren Sockeln drehten.
    Mehrere Gestalten kamen aus dem Halbdunkel, einige Männer und Frauen mit zerrissener Kleidung und wirren Haaren, die Augen groß, die Gesichter hohlwangig.
    »Ich habe gesehen, wie sie gekommen sind«, sagte eine der Frauen mit fast schriller Stimme. »Durch die Wand. Eine Tür hat sich für sie geöffnet.«
    »Wo ist sie?« Ein kräftig gebauter, bulliger Mann stapfte Zacharias entgegen und zog dabei den Kopf zwischen die Schultern, wie dazu bereit, jedes Hindernis zu rammen, das sich ihm in den Weg stellte. »Wo ist die verdammte Tür? Wo habt ihr sie versteckt?«
    »Flo?« Zacharias streckte den Arm aus. »Komm zu mir, Flo.« Und als sie neben ihm stand, flüsterte er: »Bleib jetzt immer dicht bei mir, hörst du?«
    Der Mann blieb vor Zacharias stehen, packte ihn am Kragen der Jacke und knurrte: »Gehört ihr zu ihm? Hat er euch geschickt? Zeigt uns die Tür!«
    Zacharias sah dem Mann in die Augen und erkannte in ihnen eine Angst, die selbst einen gesunden, stabilen Verstand in den Wahnsinn treiben konnte. Dieser Traveller oder Legat war in einem der zerbrochenen Spiegel gefangen gewesen und fürchtete nichts mehr als die Rückkehr der geistigen Ketten, die ihn an den Seelenfänger banden.
    »Wir sind hier, um euch alle zu retten«, sagte Florence, bevor sich Zacharias

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