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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Beste. Einen Sekundenbruchteil später fragte er sich, ob dies sein eigener Gedanke war oder vielleicht ein Produkt der Konditionierung durch das Projekt Genesis. Konnte er sich von jetzt an noch trauen?
    »Salomo hat versucht, dich auf seine Seite zu ziehen, weil er weiß, wie gefährlich du für ihn sein könntest. Was auch immer du jetzt tust, welchen Ort du aufsuchst … Er wird versuchen, dich zu finden und zu eliminieren. Solange du lebst, kann er nicht sicher sein, wirklich gesiegt zu haben. Und er wird dich finden. Es genügt, dass du seinen Namen nennst oder auch nur an ihn denkst. Es würde genügen, dass du irgendwann einmal von ihm träumst. Salomo wird dich hören und finden.«
    »Es hätte also gar keinen Sinn, dass wir zur Foundation zurückkehren«, sagte Zacharias leise. »Wir hätten nie Ruhe vor ihm. Uns bleibt nichts anderes übrig, als … den Spieß umzudrehen.«
    »Und wie?«, fragte Florence. »Wie sollen oder können wir helfen?« Sie hustete plötzlich. »Täusche ich mich, oder wird der Gestank schlimmer?«
    »Diese Fraktur geht zu Ende.« Der Alte strich mit der Hand durch die Rauchschleier, und diesmal gerieten sie in Bewegung. Von tief unten kam ein dumpfes Grollen, und Zacharias stellte sich einen Kessel vor, der unter hohem Druck stand und zu explodieren drohte. »Die Antwort heißt Zuflucht. Es gibt einen sicheren Ort außerhalb des Netzes, eine Welt, die schon einmal Menschen Zuflucht geboten hat, vor langer Zeit. Es existiert nur eine einzige Verbindung zum Netz, und die befindet sich im Innern eines Knäuels aus Hunderten von Fäden wie denen, die Erasmus dir gezeigt hat, Florence. Wer die Verbindung nicht kennt, kann sie in dem Knäuel nicht finden. Kehrt nach Prisma zurück und zerstört die letzten Spiegel. Befreit die Traveller und Legaten, bringt sie nach Zuflucht, wo sie vor dem Seelenfänger sicher sind. Ohne die Gefangenen – ohne seine ›Freunde‹ – ist Salomo nicht mehr stark genug, Lassonde zu übernehmen, und ohne Lassonde bleibt ihm der Hauptstrang des Netzes verwehrt. Bringt die Traveller nach Zuflucht und hütet euch dort davor, den Namen des Seelenfängers zu nennen, damit er nicht den Weg zu euch findet.«
    »Kennst du die Verbindung nach Zuflucht?«, fragte Zacharias. »Könntest du sie in dem Knäuel lokalisieren?«
    »Ich wäre dazu imstande gewesen, aber ich habe diese Informationen aus meinen Speichern gelöscht. Damit sie nicht in die falschen Hände fallen.«
    Zacharias sah den Alten groß an. »Aber … Verdammt, wie sollen wir Zuflucht finden, wenn du absichtlich den Weg dorthin vergessen hast?«
    »Du wirst ihn finden, Zacharias.« Der Greis hob die Brauen. »Du bist doch der Beste, oder? Beweis es. Die anderen Traveller können dir helfen. Gemeinsam findet ihr den Weg.« Der alte Mann mit dem weißen Haar und dem weißen Bart stand auf, und Zacharias hörte das Knacken seiner Knochen. »Ich kann euch zum Transferknoten bringen, zum Knäuel, weiter nicht. Den Rest müsst ihr allein schaffen.« Er deutete nach oben.
    Es war heller geworden im Innern des Schlotes, und als Zacharias den Kopf hob, stellte er fest, dass sich die Luke in eine Tür verwandelt hatte, schmal und weiß. Ein Übergang wartete dort auf sie, halb offen wie zuvor die Wartungsluke.
    »Kommst du mit uns, Lily?«, fragte Florence.
    »Nein«, sagte der Alte und strich sich über den Bart. »Ich werde hier gebraucht. Ich muss Marta und den anderen helfen, mit der Kontamination fertig zu werden und Salomo standzuhalten. Aber die Entscheidung fällt nicht hier allein; sie hängt vor allem von euch ab.«
    Rauch bewegte sich, stieg in dichteren Schwaden aus den dunklen Tiefen auf. Zacharias’ Augen tränten.
    »Möge Gott euch helfen«, sagte der Alte und lachte plötzlich, laut und herzhaft. »Er hilft euch bereits. Wenn ihr gestattet …«
    Er hob langsam die Hände, und Florence und Zacharias stiegen ebenso langsam auf, bis sie sich auf einer Höhe mit der weißen Tür befanden.
    Florence griff nach einer Leitersprosse. »Und wenn wir es nicht schaffen?«
    »Ts, ts.« Der Alte schüttelte den Kopf. »Du hast Psychologie studiert, Teuerste. Also solltest du wissen, wie wichtig positives Denken ist. Wenn ihr glaubt, dass ihr es schafft, ist der erste Schritt bereits getan.«
    »Und der zweite könnte direkt über den Rand der Klippe führen.« Florence drückte die weiße Tür ganz auf; noch mehr Licht fiel in den Schacht.
    »Bevor du gehst, Zacharias, möchte ich dir noch etwas sagen.«

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