Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
Vom Netzwerk:
Maschinenintelligenzen, um ein Distributed Conscience und eine kombattante KI, die dafür konzipiert wurde, alle Schutzmechanismen und Codierungen auszutricksen.«
    »Mag sein.« Zacharias gab sich noch immer Mühe, seine Worte ruhig klingen zu lassen, obwohl er sie am liebsten geschrien hätte. »Aber erinnere dich an das Gespräch mit Lily. Sie wusste über alles Bescheid, über deine Erlebnisse wie über meine. Als wäre sie damit verknüpft gewesen. Wissen auf der einen Seite, selektives Vergessen auf der anderen.«
    »Wir verlieren kostbare Zeit, Zach. Du solltest besser nach dem Transferpunkt suchen.«
    »Nur noch einen Moment«, sagte er schnell. »Oder vielleicht auch zwei.« Er musste die Gedanken aussprechen. Sie lasteten zu schwer auf ihm, sie zerdrückten seine Seele. »Ist dir aufgefallen, dass Lily mir keine Antwort auf die Frage gegeben hat, wie es möglich sein soll, dass der Seelenfänger aus einer Welt kommt, die er selbst als Saatwelt erschaffen hat? Sie ist mir ausgewichen, hat von Huhn und Ei gesprochen. Aber die Gesetze der Kausalität herrschen auch hier, oder? Oder?«
    Florence zuckte die Schultern. »Ich denke schon. Aber ganz sicher bin ich mir nicht. Nach dem, was ich gesehen habe …«
    »Wir können Ursache und Wirkung nicht einfach außer Acht lassen«, sagte Zacharias, und es klang fast wie eine Hilferuf. »Selbst wenn ganze Welten von Gedanken erschaffen werden, und von Programmen, die Bits und Bytes in Prozessoren und Arbeitsspeicher bewegen. Innerhalb dieser Welten muss es Ursache und Wirkung geben, und das bedeutet: Die Wirkung kann nicht ihre eigene Ursache schaffen. Der Seelenfänger kann nicht aus einer Welt stammen, die er selbst kreiert hat. Das ist einfach unmöglich! «
    »Du brauchst nicht so zu schreien, Zach, ich verstehe dich auch so.«
    »Und dann die Identität des Seelenfängers«, fuhr Zacharias fort und fühlte sich der Hysterie nahe, obwohl er sich noch immer bemühte, ruhig zu sprechen. »Lily hat zugegeben, dass sie zu Anfang, vor ihrer Bewusstwerdung, am Projekt Genesis beteiligt gewesen war. Wie kann sie die Identität des Seelenfängers nicht kennen?«
    »Hör mir zu, Zach«, sagte Florence, als er schließlich schwieg und nach Atem rang. »Wir sind großen Belastungen ausgesetzt gewesen, und bei dir kommt hinzu, dass du längere Zeit unter Salomos Einfluss gestanden hast …«
    »Was willst du damit sagen? Dass ich nicht mehr richtig ticke?«
    »Ich habe mich mit einem Buch unterhalten«, erwiderte Florence. »Ich bin in einer Foundation gewesen, die nicht die unsere war, und mithilfe von virtuellem Tetranol bin ich wieder auf die Reise gegangen. Damit will ich sagen …«
    »Tetranol«, knurrte Zacharias. »Das habe ich ganz vergessen. Vielleicht ist dies eine Art Delirium. Möglicherweise haben wir zu viel Tetra genommen …« Er zögerte und schnippte mit den Fingern. »Die Überdosis Tetranol, erinnerst du dich? Als wir dem Seelenfänger in der Holzhütte auf dem Hügel begegnet sind. Ganz zu Anfang, nach der Flucht aus Tokio.« Es schien hundert Jahre her zu sein. »Du hast selbst gesagt, dass mir jemand eine Überdosis gegeben hat. Dadurch konnte mich Salomo im entscheidenden Augenblick nicht unter Kontrolle bringen.«
    »Zach … Wir haben es hier mit einem grundsätzlichen Problem zu tun. Die Frage lautet: Trauen wir unseren Wahrnehmungen oder nicht? Glauben wir, was uns unsere Augen und Ohren sagen, oder zweifeln wir alles an? Du bist ein starker Traveller, und wenn ich die Dynamik des Weltennetzes richtig verstehe, könntest du gerade eine Welt erschaffen haben, in der die Dinge genau so sind, wie du sie geschildert hast. Hier geben die Gedanken den Ausschlag; hier gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Wirklichkeit und Illusion.«
    Die Worte erinnerten Zacharias an etwas. »›Welchen Unterschied gibt es zwischen Wirklichkeit und Illusion, wenn er für die menschlichen Sinne nicht wahrnehmbar ist?‹ Das hat mich Salomo gefragt.« Der Druck in seinem Innern ließ plötzlich nach, als hätte jemand ein Ventil geöffnet. Es blieb etwas, das irgendwo in ihm nagte und kratzte, ein Gedanke beziehungsweise der Anfang eines Gedanken. Es gab einen Hinweis in den Worten, die Lily im Fabrikschlot von Lassondes Unterstadt an sie beide gerichtet hatte. Nicht nur einen, sondern sogar zwei; Lily hatte ihn wiederholt. Mit Absicht? Bestand überhaupt die Möglichkeit, dass keine Absicht hinter den Worten steckte – hinter jedem einzelnen von ihnen –, die eine

Weitere Kostenlose Bücher