Seelenfänger
etwas einfallen lassen konnte. »Wir bringen euch in Sicherheit.«
»In Sicherheit«, seufzte eine der Frauen. Kleine, halb in ihrem Körper steckende Geräte und Instrumente ragten zwischen den Kleidungsfetzen aus ihrem Körper.
Zacharias griff nach den Händen des Mannes und löste sie vom Kragen seiner Jacke. »Wir müssen die Spiegel zerstören«, sagte er und folgte damit einem Rat seines Instinkts. »Wir müssen die heil gebliebenen Spiegel zerstören und die Menschen in ihnen befreien. Anschließen bringen wir euch zu einem Ort, wo uns der Seelenfänger nicht erreichen kann.«
»Eines ist wichtig«, fügte Florence hinzu. »Sagt es den anderen: Wenn alle befreit sind und wir aufbrechen, wenn wir diesen Saal verlassen … Niemand darf den Namen des Seelenfängers nennen. Versucht, ihn nicht einmal zu denken. Wer seinen Namen nennt, baut eine Brücke zwischen ihm und uns. Ist das klar? Habt ihr verstanden?«
Weitere Spiegel brachen in der Nähe, ohne dass jemand sie zerschlagen hätte, und Zacharias fragte sich, ob der Alte – Lily – dahintersteckte. Die beiden großen Spiegel mit den Wüstensonnen drehten sich weiter, wie zwei schnell rotierende Scheinwerfer, die ihr Licht durch den Saal schickten.
»Wer seid ihr?«, fragte der Mann argwöhnisch.
Wieder kam Florence Zacharias zuvor. »Wir sind Traveller. Von der Foundation, wenn euch das etwas sagt. Und wir arbeiten mit Protektor von Lassonde und den Visionären der Wahrheitszentren zusammen. Wir kennen einen sicheren Ort und den Weg dorthin. Aber wir dürfen uns nicht zu viel Zeit lassen. Zerbrecht die Spiegel, alle! Und denkt daran: Niemand darf den Namen des Seelenfängers nennen. Na los, worauf wartet ihr noch? Wir treffen uns in der Mitte des Saals.«
Die Männer und Frauen eilten fort. Der kräftig gebaute Bursche, der Zacharias am Kragen gepackt hatte, warf noch einen misstrauischen Blick über die Schulter und folgte dann den anderen. Nach ein oder zwei Dutzend Metern verschmolzen ihre Silhouetten mit der Dunkelheit, aus der bald das Klirren von Glas drang.
»Du scheinst alles fest im Griff zu haben«, sagte Zacharias und versuchte noch immer, Ordnung in das Durcheinander hinter seiner Stirn zu bringen.
»Ich bin die Therapeutin und Kognitorin. Und einer von uns muss sich genug Geistesgegenwart bewahren.« Florence deutete in die Dunkelheit des Saals. »Wo ist der Transferpunkt, Zach?«
»Das fragst du mich ?«
»Du bist hier der Traveller, Zach. Lily hat versprochen, uns in die Nähe des Transferpunkts zu bringen, und ich vertraue ihr.«
Zacharias blickte auf die Tote hinab. Ihre Augen starrten ins Nichts, ohne etwas zu sehen, und noch immer rann Blut aus Mund und Nase. Es sah echt aus; alles sah sehr echt aus.
»Vielleicht liegt genau da das Problem«, sagte er, den Kopf voller tobender Gedanken. »Denn ich traue ihr nicht.«
»Es war Lily , Zach! Du kennst sie doch. Matthias hat ihr absolut vertraut.«
»Matthias ist ein Computer-Junkie«, sagte Zacharias und rang mit sich selbst, mit dem Zweifel in ihm, mit dem Loch, das er noch immer unter sich spürte, obwohl er hier wieder festen Boden unter den Füßen hatte. »In der Foundation braucht er Lily ebenso wie ich den Rollstuhl.«
»Zach …«
Weitere Spiegel klirrten in der von flackerndem Licht durchschnittenen Dunkelheit. Rufe erklangen.
»Wir haben für dies alles …« Zacharias vollführte eine Geste, die nicht nur Prisma galt, dem Saal mit den Spiegeln, sondern auch allem anderen. »… nur ihr Wort. Nichts weiter. Lily könnte gelogen haben.«
»Aber warum , um Himmels willen?«
»Was weiß ich? Ich habe keine Ahnung, was in ihren Bits und Bytes vor sich geht.« Die Worte platzten aus Zacharias heraus, als hätten sie auf eine Gelegenheit gewartet, sich Luft zu verschaffen. »Ich weiß nur, dass uns praktisch hinter jeder Ecke neue ›Wahrheiten‹ erwarten, die die ›Wahrheiten‹, die zuvor galten, als Lügen entlarven. Hier gibt es nur eine Konstante: Nichts ist, wie es scheint.«
»Was hat dir Lily zugeflüstert?«, fragte Florence erneut. »Zweifelst du deshalb an ihr?«
»Nein«, erwiderte Zacharias, aber das stimmte nicht ganz. Jene Worte hatten sein Misstrauen verstärkt, obwohl sie einen Sinn ergaben. Alles ergab einen Sinn, wenn man sich den richtigen Blickwinkel zu eigen machte. Doch man brauchte ihn nur ein wenig zu verschieben und die Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten, um ihnen ein ganz anderes Erscheinungsbild zu geben. Wir sind hier in
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