Seelenfänger
Ein neues begann. Das Netz der Welten war frei; vom Seelenfänger drohte keine Gefahr mehr.
Er erreichte den Instrumententisch, nahm einen Injektor und überprüfte das kleine Gerät. Dann ergriff er eine der Am pullen, die eine klare Flüssigkeit enthielten – Dr. Anderson hielt immer eine Tetranol-Reserve griffbereit, wenn Traveller auf der Reise waren.
Als er die Ampulle in den Injektor schob, reagierte sein Radar auf etwas, und er zögerte, ließ weitere kostbare Sekunden verstreichen. Er sandte ein Ping aus, nicht in den lokalen Äther, sondern viel weiter, ins Netz der Welten, und er bekam ein Echo aus der Ferne, so schwach, dass es ihm nur mitteilte: Hier ist etwas. In einem Anflug von kalter, das Herz umklammernder Furcht dachte er, dass Penelope entkommen war und er vielleicht eine von ihr verursachte subtile Veränderung in den Grundmustern des Netzes gespürt hatte. Aber das Radar zeigte ihm eine andere Richtung an; das Echo war nicht von dort gekommen, wo er Penelope zurückgelassen hatte.
Du vergeudest wertvolle Zeit, ermahnte er sich und kehrte mit dem Injektor zum Rollstuhl zurück.
Die Augen des anderen Zacharias waren nicht mehr halb offen, sondern geschlossen. Er hatte sich bewegt, hier in diesem gefangenen, erstarrten Moment.
Vorsichtig setzte er ihm den Injektor an den Hals und betätigte den Auslöser. Ein leises Zischen brachte den Inhalt der Ampulle in den Blutkreislauf des Gelähmten.
Zacharias blickte auf den Mann im Rollstuhl hinab und rechnete fast damit, selbst etwas von dem Tetranol zu spüren, das er sich gerade injiziert hatte. Aber es wirkte sich bei jemand anderem aus, bei einem Mann in einem Holzhaus auf der Kuppe eines Hügels, bei jemandem, der gerade erst mit einer langen Reise begonnen hatte, die seltsamerweise hier endete, an ihrem Anfang.
Der Kreis schließt sich, dachte er. Er ist komplett.
Als er zur weißen Tür ging, die ihn hierhergebracht hatte, sah er noch einmal auf sein Radar. Es zeigte keine Echos mehr an, doch irgendwo in weiter Ferne war etwas geschehen, hatte sich etwas verändert. Seine Synästhesie präsentierte ihm einen bitteren Geschmack, begleitet von einer Dissonanz – eine Warnung.
Aber es hatte nichts mit dem Seelenfänger zu tun, und das genügte ihm vorerst.
Zacharias trat durch die weiße Tür. Es wurde Zeit für eine andere Rückkehr.
Epilog
U ntenbeim Fluss brannten Lichter wie vom Himmel gefallene Sterne, obwohl diese Welt keine Sterne hatte, sondern ein goldenes Gespinst am Himmel. Einige von ihnen bewegten sich: Lampen an Bord von Booten und kleinen Schiffen, mit der Strömung nach Westen unterwegs, als wollten sie versuchen, die untergegangene Sonne einzuholen. Auf der linken Seite tanzten weitere Lichter in der Nacht, nur einige wenige, und als Florence genauer hinsah, erkannte sie in ihrem Schein mehrere Gestalten, die die lange Treppe am steilen Hang des Tafelbergs emporstiegen. Mit dem Aufzug, bei dem sie wartete, schien erneut etwas nicht in Ordnung zu sein. Sie zog am Signalseil, doch das andere Seil, hier oben mit einer kleinen Glocke verbunden, rührte sich nicht.
»Kommt der Aufzug nicht?«, fragte der neben ihr stehende Knabe.
»Ich fürchte, er ist defekt, Lucius«, sagte Florence und deutete zu den Laternen, die über die Treppe näher kamen. »Vielleicht kommt Malena mit der Gruppe dort. Estell, bitte klettere nicht aufs Geländer, das ist gefährlich!«
»Schade«, sagte Lucius traurig. »Ich habe mich auf die Fahrt mit dem Aufzug gefreut.« Sanfter warmer Wind spielte mit seinem Haar, das ebenso blond war wie das seiner Schwester Estell. Beide Kinder waren fünf Jahre alt; Florence hatte fast neun Monate nach ihrer Ankunft in Zuflucht Zwillinge zur Welt gebracht.
Estell kam näher, trat nach einem Stein und beobachtete, wie er über den Rand der Klippe flog.
»Wie oft habe ich dir gesagt, dass du das nicht tun sollst?«, sagte Florence scharf. »Stell dir vor, ganz unten steht jemand, dem der Stein auf den Kopf fällt. Würde es dir gefallen, einen Stein auf den Kopf zu bekommen?«
Das Mädchen zuckte die Schultern. »Ich stehe hier oben.«
Im Gegensatz zum bedächtigen Lucius war Estell ein Wildfang, immer in Bewegung, immer auf der Suche nach etwas, mit dem sie sich beschäftigen konnte. In ihrem Leben schien es nie einen ruhigen Moment zu geben. Manchmal fiel es selbst der unendlich geduldigen Malena schwer, mit ihr fertigzuwerden. Sie kümmerte sich oft um die Zwillinge, wenn Florence damit beschäftigt war,
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