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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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der Interface-Liege schwang, aufstand und mit müden Knien zum Rollstuhl ging, in dem Zacharias mehr lag als saß. Das Summen der medizinischen Geräte neben ihm schien mit dem leisen Zischen der Klimaanlage zu wetteifern. In seinen großen braunen Augen lagen Enttäuschung und eine Müdigkeit, die sie ebenfalls fühlte. Sein Blick glitt zur Mikrokamera am schmalen Schwenkarm, und auf dem kleinen Monitor über der rechten Armlehne erschienen Worte. Es tut mir verdammt leid, Flo, schrieben Zacharias’ Pupillen. Ich hatte es mir anders vorgestellt.
    »Schon gut«, sagte sie und legte ihm die Hand auf den dünnen, reglosen Arm. »Beim nächsten Mal, versprochen«, fügte sie hinzu und senkte dabei die Stimme, weil sie neben dem Fenster eine Bewegung bemerkte. Und weil die Techniker, die auf der anderen Seite des breiten Innenfens ters an den Interface-Kontrollen saßen, sie nicht hören sollten.
    Florence wandte sich dem Mann zu, der einige Schritte näher gekommen war und neben dem Bett stehen blieb, in dem Randolph Amadeus Quint lag. Die Augen des Patienten bewegten sich unter den geschlossenen Lidern. Ka theter steckten in seinen Armbeugen, und ihre dünnen Schläuche führten zu einem nahen Geräteblock, der Quints Biosignale empfing und die richtige Mischung aus Tetranol und Glukose überwachte. An Stirn und Schläfen klebten Sensoren, die ihn mit Lilys Terminals im Nebenzimmer verbanden; Conrad saß dort mit geschlossenen Augen in einem Interface-Sessel. »Wir standen unmittelbar vor dem erfolgreichen Abschluss der Mission, Jonas«, sagte sie. »Es fehlten nur ein paar subjektive Minuten.«
    »Der Ereigniswinkel wurde immer größer«, erwiderte Rasmussen. »Aus einigen wenigen subjektiven Minuten für euch wären hier bei uns zwei oder drei Stunden geworden, und so lange konnten wir nicht warten. Ein neuer Einsatz wartet auf euch, erste Priorität.«
    Florence fühlte die Erschöpfung nicht nur in Muskeln und Knochen, sondern auch in ihrem Geist. »Wie viel objektive Zeit ist verstrichen?« Sie deutete zum Außenfenster mit den halb geschlossenen Jalousien; durch eine schmale Lücke glänzte das Blau eines grenzenlosen Ozeans. »Wir sind am Abend aufgebrochen …«
    »Aber nicht gestern Abend. Vorgestern«, sagte Rasmussen. Er trug einen Anzug, dessen Grau gut zu seinem Vollbart passte. »Ihr seid fast zwei Tage unterwegs gewesen.«
    »Zwei Tage! Und du willst uns sofort wieder losschicken?«
    »Leider geht es hier nicht darum, was ich will.« Ein Schatten fiel auf Rasmussens Gesicht, und für einige Sekunden wirkte er nicht mehr wie ein rüstiger Mittsechziger, sondern wie ein dahinwelkender, schwach gewordener Greis. Flo rence blinzelte, und einige der Falten verschwanden aus Augenwinkeln und Stirn des Mannes, der die SGP-Gruppe zu einer großen Familie gemacht hatte. Er versuchte, sie zu schützen, sie alle, das wusste Florence. Und wenn an den Gerüchten, die seit einiger Zeit kursierten, etwas dran war, wuchs der Druck, mit dem er fertig werden musste; es fiel ihm immer schwerer, die Familie vor einer Welt abzuschirmen, die sich schnell veränderte und auf eine Katastrophe zusteuerte. »Es geht um einen ganz besonderen Patienten, der besondere Hilfe braucht. Ich glaube, nur Zacharias kann sie leisten.«
    »Jonas … Zwei Tage sind vergangen! Wir sind fix und fertig. Ich habe seit achtundvierzig Stunden nichts gegessen und getrunken.« In dieser Hinsicht hatte Zach keine Probleme; spezielle Katheter verbanden ihn mit dem Rollstuhl, der ihn ernährte und mindestens eine Woche lang sein Überleben sichern konnte.
    »Wir brauchen Zacharias«, sagte Rasmussen sanft. »Was dich betrifft, Florence …«
    »O nein. Ihr schickt ihn auf keinen Fall ohne mich los!«
    »Wenn du wirklich so erschöpft bist …«
    »Ich sterbe vor Durst, mir knurrt der Magen, und meine Knochen sind schwer wie Blei«, sagte Florence. »Aber Zach geht nicht ohne mich auf die Reise.« Sie wankte zum kleinen Tisch in der Ecke des Zimmers, füllte sich dort ein Glas mit kaltem Mineralwasser und trank.
    »Du bist Therapeutin …«, sagte Rasmussen, während sie ihm den Rücken zukehrte, und etwas in seiner Stimme ließ sie erstarren.
    »Ja?«, fragte sie vorsichtig, als der Direktor nicht weitersprach. Sie drehte sich nicht um.
    »Die beste Therapeutin für unseren besten SGP«, sagte Rasmussen. »Ihr passt zusammen. Aber …«
    Er weiß es, dachte Florence plötzlich, trank erneut und ließ das leere Glas langsam sinken. Er weiß von Zach und

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