Seelenfänger
medizinisch-psychologische Analysen und die Kontrolle der Interface-Systeme mit den daran angeschlossenen Datenbanken. Matthias, einer der Sysadmins von Sea City, hatte für diesen Teil der Cray einen androgynen Avatar program miert, mit neutraler Stimme, aber irgendwann hatte jemand begonnen, ihn Lily zu nennen, und alle Versuche von Matthias, dem Avatar einen anderen Namen zu geben, waren gescheitert.
Zacharias blieb am Ende der Treppe stehen und deutete in den Ballsaal hinab. »Ich weiß, dass es Randys Geburtstag ist«, sagte er, »aber wo sind die jungen Leute, die man bei einer solchen Gelegenheit erwarten könnte? Flo?«, fügte er hinzu, als Florence nicht sofort antwortete.
»Ich bekomme ein Signal«, sagte sie überrascht, die Hand wieder am Ohr. »Wir werden zurückgerufen.«
Zacharias schüttelte den Kopf und ging weiter. »Nicht jetzt. Sag ihnen, dass wir dies zu Ende bringen. Nur noch ein paar Minuten.« Für ihn hätten es auch Stunden oder Tage sein können, oder Wochen und Monate. Die Rückkehr fiel ihm immer schwer, denn sie bedeutete, dass er auf seine Augen reduziert war und auf den Rest verzichten musste. Hier fühlte er sich besser, stärker, robuster, Herr der Lage. Das andere Leben hatte im Vergleich mit diesem kaum einen Reiz; in dem anderen Leben konnte er kein Mann für Florence sein.
Die Tür am Ende des Flurs war verriegelt; das wusste Zacharias, ohne den Knauf zu drehen. »Schließ die Augen, Flo.«
»Es ist ein Dringlichkeitssignal, Zach …«
»Keine Störungen jetzt. Schließ die Augen und komm.«
Er ergriff ihre Hand und zog sie mit sich, durch die Tür, die ihm kaum Widerstand bot, weil er nicht wollte, dass sie ihn aufhielt. Das hatte er bei den letzten Einsätzen gelernt: festen Dingen die Substanz zu nehmen, sie seinem Willen unterzuordnen. Es funktionierte nicht immer, und nicht immer gleich gut; es hing vom Patienten ab, und davon wie das Tetranol wirkte, wie er sich fühlte. Dass Florence die Augen schloss, machte es für sie leichter, denn dadurch kam es zu weniger Konflikten zwischen ihrer Wahrnehmung und dem, was ihr Gehirn für möglich hielt.
Im Zimmer hinter der geschlossenen Tür brannte nur eine Lampe in einer Ecke, und jemand hatte ein Tuch über sie gelegt, um ihr Licht zu dämpfen. Im Bett lagen zwei Jungen, eng umschlungen wie ein Liebespaar, einer von ihnen Randolph Amadeus, mit zotteligem, schweißfeuchtem Haar, die Augen im schmalen Gesicht groß, die Zunge halb im Mund des anderen Jungen, der Malcolm hieß und ein Jahr älter war, die Hand unter der Decke an seinem Glied. Sie hatten sich am College kennengelernt, erinnerte sich Zacharias mit fremden Erinnerungen. Komm, wir machen’s in deinem Zimmer, während die anderen tanzen, das gibt uns den richtigen Kick, flüsterten diese Erinnerungen, begleitet von Hoffnung und Aufregung.
Zacharias blinzelte, und die beiden Jungen lagen nicht mehr eng umschlungen. Malcolm hatte sich zur Seite gerollt und griff nach seinen neben dem Bett liegenden Sachen; Randy zog sich erschrocken das Laken zum Kinn hoch und starrte den Mann an, der vor dem Bett stand. Onkel Dulberg, Halbbruder von Randolphs Vater und das schwarze Schaf der Familie. Na, so was, na, so was, wer hätte das gedacht, sagte Onkel Dulberg zufrieden. Tja, ich habe es gedacht, es überrascht mich überhaupt nicht, mein Lieber. Beobachte dich schon seit einer ganzen Weile. Es wundert mich, dass die anderen noch nicht gemerkt haben, dass du schwul bist. Haben vielleicht nicht den richtigen Blick dafür. Malcolm hat ihn. Nicht wahr, Malcolm? Hast es ziemlich eilig, in deine Klamotten zu kommen, wie? Warum nur, frage ich mich. Wir sind hier doch unter uns.
Bitte, Onkel Dulberg …, wimmerte Randolph, und mit dem Kopf voller fremder Gedanken dachte Zacharias: Armer Randy. Bist da wirklich in eine blöde Situation geraten. Dein Onkel ist schwul wie du und hatte dich schon seit einer ganzen Weile auf dem Kieker. Er hat sich einen Schlüssel für dein Zimmer besorgt und auf die richtige Gelegenheit gewartet.
Oh, mach dir keine Sorgen, Randolph, ich verrate deinem Vater nichts. Dies bleibt unter uns, ganz klar. Und du, Malcolm, bleib ruhig hier. Dulberg streckte den Arm und versperrte damit den Weg zur Tür. Es gibt nichts zu befürchten. Euer kleines Geheimnis ist bei mir gut aufgehoben. Und Randolph, da heute dein Geburtstag ist … Ich habe ein Geschenk für dich. Er knöpfte sich die Hose auf.
»Das ist es?«, fragte Florence. »Das ist der
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