Seelenfeuer
bekreuzigte sich. »Wir brauchen zuerst die Fürsprache der Muttergottes. Als Schutzheilige der Geburt wacht sie
über Marie, doch um ihre Hilfe zu erbitten, müssen wir auf Grete warten.«
»Und wo bleibt eure Grete?«, fragte Luzia. Sie drehte sich weg und ging vor Maries Lager in die Knie.
Die Schwangere wand sich mit offenem Haar auf ihrem Lager. Dunkel vom Schweiß klebte ihr das kastanienbraune Haar am Kopf. Ihr Gesicht wirkte bleich und vom Schmerz gezeichnet. Ein Blick in Maries Augen zeigte ihre Todesangst. Luzia berührte sie sanft. Sie fühlte die Furcht und all den Schmerz, die Marie gefangen hielten. Doch schon wenige Atemzüge später entspannte sich das Gesicht der jungen Weberin. Der harte Zug um ihren Mund war bereits gewichen.
»Ich bin so froh, dass Ihr da seid. Glaubt Ihr, heute kommt es zu einem guten Ende?«, flüsterte die junge Frau zwischen zwei Wehen.
Luzia nickte. In ruhigen und einfachen Worten erklärte sie Marie, wie sie jetzt gemeinsam vorgehen würden.
Die junge Frau nickte, und Luzia erkannte erleichtert, dass sie ihr Vertrauen gewonnen hatte.
Annelie und die Weberin Mutter wachten neugierig über Luzias Tun und all ihre Worte. Jeder Handgriff wurde gesehen und leise kommentiert.
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen, und alle richteten ihre Blicke auf die hochaufgeschossene Gestalt, die die Kammer betrat. Ein scharfer Luftzug trug den Geruch von Weihrauch und Missgunst herein.
»Gegrüßet seist du, Maria«, herrschte Grete die Frauen an, dabei ließ sie einem Richter gleich ihren durchdringenden Blick durch die Kammer schweifen.
»In Ewigkeit. Amen«, kam die Antwort von Gertrude Weber und der Küferin.
Grete lächelte zufrieden.
Sie hatte etwas über sechzig Winter erlebt. Ihr bleiches Gesicht zeigte noch wenige Falten, dafür wirkte es kühl und unnahbar. Doch Gretes gesamte Erscheinung war tadellos. Zu allen Zeiten trug die Muntzin eine eng anliegende helle Haube, unter der nicht ein einziges Haar hervorschaute, was den Eindruck erweckte, als besäße sie gar keines. Der Stehbund von Gretes Hemd reichte ihr bis knapp unters Kinn. Hemden besaßen in der Regel einen Ausschnitt, und die Frauen fragten sich oft, wo Grete diese Ungetüme erstand. Auch die Ärmel des Gewands waren stets etwas länger als ihre Arme, sodass Grete auch ihre Hände vor fremden Blicken geschützt wusste. Darüber trug sie ein dunkles Überkleid. Bodenlang und völlig schmucklos, wie ein Büßergewand, dafür so wallend, dass es einer Schwangeren gute Dienste geleistet hätte.
Grete war sehr stolz darauf, stets als Vorbild für Tugendhaftigkeit und Anstand genannt zu werden. Oft schimpften die hohen Kirchherren des Sonntags in ihrer Predigt. Nannten die Frauen eitle, dem bunten Tand verfallene Weiber und verlangten lautstark danach, das gesamte Haar mit einer züchtigen Kopfbedeckung zu verhüllen. Üppige Ausschnitte und weite Ärmel prangerten sie ebenso an wie das Tragen von Schmuck und modischen Schuhen. Grete konnten sie damit nicht meinen. Die Muntzin hielt auch sämtliche Fastentage streng und ohne jede Ausnahme ein. Nicht einmal von einer Krankheit ließ sich die sehr schlanke Frau abhalten, ihren Körper zu kasteien und ihre Gedanken zu züchtigen.
Als Luzia den kühlen Blick der Älteren auf sich spürte, lief ihr ein kalter Hauch über den Rücken. Diese Frau konnte ihr gefährlich werden, das spürte sie sehr deutlich. Sie versuchte zunächst ein Lächeln, doch es wurde nicht erwidert. Es prallte einfach an Grete ab. Wurde gelöscht, wie Wasser eine Flamme zum Sterben brachte. Stattdessen traf sie Gretes überheblicher Blick.
»Grüß Gott, wir wurden uns noch nicht vorgestellt. Ich bin Luzia Gassner, die neue Hebamme«, sagte Luzia mit fester Stimme und wollte ihr die Hand reichen.
Grete würdigte sie keines Blickes und erwiderte auch Luzias Gruß nicht. Die Gedanken der Muntzin begannen bereits die Atmosphäre zu verpesten, als sie sich endlich zu einer Antwort herabließ.
»Feuerrotes Haar, als ob der Teufel selbst darin hockte, du bist also die Gassnerin?«, sagte sie schließlich. »Hat es dir bei den Barbaren die Sprache verschlagen?«
»Im Gegensatz zu Euch habe ich mich bereits vorgestellt. Wenn auch Ihr so freundlich wärt«, gab sie zurück.
Gretes herablassender Blick traf sie wie ein giftiger Pfeil.
»Ich glaube nicht, dass ich mich vorstellen muss! Schließlich bin ich keine Unbekannte.«
Luzia erwiderte nichts.
»So, und du willst also die Hebamme sein? Deine
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