Seelenfeuer
vorstellte, dass es einen Gott gegeben hatte, dem das Rabenpack heilig war, schauderte Nanne. Nicht zu reden vom ersten Gebot, in dem es heißt: Du sollst keine anderen Götter neben mir haben!
Nanne kämpfte mit sich, schließlich forderte Kaplan Grumper sie alle täglich auf, die Namen derer preiszugeben, die ihre Seele in Gefahr brachten. Nanne sorgte sich ernsthaft um die Freundin, schließlich bedeutete dieses armselige Erdenleben nicht wirklich etwas. Weitaus wichtiger war es, das Höllenfeuer abzuwenden. Wer dort schmorte, dem konnte bis in alle Ewigkeit nicht mehr geholfen werden.
Fürs Erste wollte Nanne einfach ein wenig Abstand von Luzia halten.
Die Grundbesitzer, Bauern und alle, deren Felder und Weinberge durch den Hagel verheert worden waren, fanden sich zum wiederholten Male bei Bürgermeister Ettenhofer ein. Sie alle forderten, die Verantwortlichen zu bestrafen. Schließlich konnte das Wetter nur durch einen Wetterzauber entstanden sein. Ettenhofer tat alles, um die aufgebrachten Bürger zu besänftigen, doch seine Worte verhallten ungehört.
»Meine beste Milchkuh gibt seit dem Hagelwetter keinen Tropfen Milch mehr. Der Kaplan behauptet, die Wettermacherin habe bei sich zu Hause ihre Axt in einen Balken getrieben,
aus deren Schaft sie nun die gute Milch melke. Und was soll ich sagen, es stimmt, Sentas Euter füllt sich wie das Euter der anderen Kühe, doch abends, wenn es ans Melken geht, ist es plötzlich leer. Leergemolken von einer Unholdin!«, rief Blasius Steffelin, ein wohlhabender Bauer, der mit seinem ältesten Sohn erschienen war. Dabei fuchtelte er wild mit den Armen und ballte die Hand zur Faust.
Ettenhofer nickte ergeben, schließlich war Steffelins Klage nicht die erste dieser Art. Und das Schlimmste war, dass mehr und mehr Ravensburger ebenso dachten. Sie jammerten und verlangten, dass er als Bürgermeister etwas gegen die vermeintlichen Unholde unternehmen solle. Es war zum Davonlaufen. Gestern war es der Moser Caspar. Dessen Pferde fielen eins ums andere dem Wahnsinn anheim, sobald die Kirchenglocken läuteten. Zwei der Tiere hatte er bereits dem Metzger am Gespinstmarkt zum Schlachten bringen müssen. Wenn es so weiterginge, wäre er bald völlig verarmt, hatte der Fuhrmann behauptet.
Ettenhofer hörte sich weitere Vorwürfe und Klagen an, dann scheuchte er die Bürger und Bauern aus seinem Amtszimmer. Er musste jetzt allein sein und nachdenken. Er legte die Arme auf den Rücken und wanderte in seinem Schreibzimmer auf und ab. Allein die rauen Bärenfelle auf den Eichendielen dämpften die Heftigkeit seiner Schritte. Während sein Blick über die gekalkten Wände glitt und die seidenen Wandteppiche streifte, beschleunigte er seine Schritte nochmals. Nervös schlug er die Bücher auf seinem schweren Schreibtisch zu und warf sie auf einen Stapel Pergamente. Dann stapfte er ungestüm zu einem fein gearbeiteten, mit hellen Intarsien ausgelegten Schrank. Ettenhofer öffnete die mit einer filigranen
Windrose verzierte Tür und zog im Inneren einen kleinen Hebel, worauf ein zierliches Geheimfach aufsprang. Zuerst genehmigte er sich einen tiefen Schluck des kostbaren Branntweins, den er hier versteckt hielt. Dann zog er ein zusammengefaltetes Pergament heraus und setzte sich an den dunklen Schreibtisch. Wieder und wieder las er die Zeilen.
Werter Herr Bürgermeister Ettenhofer,
ich hoffe, Ihr erfreut Euch auch nach dem Hagelwetter noch bester Gesundheit und seid wohlauf!
Der Grund meines Briefes ist leider nicht von angenehmer Natur.
Schweren Herzens muss ich Euch mitteilen, dass der kleine Vinzenz, den die Hebamme in unsere Obhut gegeben hatte, nachdem seine Mutter unter der Geburt verstorben war, während des Hagelwetters von uns gegangen ist.
Der Bub versprach bis zu jenem unseligen Tag prächtig zu gedeihen.
Doch sein Sterben war geradezu unheimlich. Aus völliger Gesundheit begann der Kleine, mit dem Niedergang der ersten Hagelkörner, zuerst am ganzen Leib zu zittern, ehe er seine Augen verdrehte, bis einzig das Weiße sichtbar war. Daraufhin erbrach er eine Art Stinkasant. Jene übelriechende krautige Pflanze, deren Blüten eine grüngelbe, gallige Färbung aufweisen und die im Volksmund auch als Teufelsdreck bezeichnet wird.
So viel steht fest, das Kind hatte den Teufel im Leib. Ehe es starb, klang seine Stimme wie die eines Erwachsenen, und mit seinen Schreien antwortete es den Donnerschlägen, die unsere Mauern erzittern ließen.
Geschätzter Bürgermeister
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