Seelenfeuer
immer nicht, sie warteten auf weitere Beweise. Grumper erkannte zwar auch in ihren Gesichtern erste Zweifel, aber er bemerkte auch jenen trotzigen Widerstand, den er abgrundtief hasste!
Nach der Messe drängten die Ravensburger hinaus, wo sie endlich ihrer ungeheuren Redelust nachgeben durften.
Bürgermeister Ettenhofer nickte Luzia aufmunternd zu, auch der Ammann und einige Bürger, die Kaplan Grumpers Worte nicht überzeugend genug fanden, schenkten Luzia im Vorbeigehen ein schüchternes Lächeln.
Der Heimweg glich dann allerdings einem Spießrutenlauf. Die Leute standen in kleinen Gruppen beieinander und steckten ihre Köpfe zusammen.
»Seht nur, da kommt sie!«, hörte Luzia sie tuscheln, als sie mit schnellen Schritten vorüberging.
»An ihrer Stelle würde ich meinen Kopf nicht mehr allzu hoch tragen«, lästerte Agathe Steffelin und beteuerte, sie habe Luzia noch nie gemocht.
»Scht! Sei still, sie hat den bösen Blick«, mahnte Amalia Moser, und in ihrem Gesicht zeigte sich Furcht. Voller Sorge breitete sie die Arme schützend über ihren prall gerundeten Bauch und senkte vorsichtshalber den Blick. Ihr blieben nur noch wenige Tage bis zur Niederkunft, und man konnte nie wissen.
»Auf mich hat die Gassnerin schon lange den Eindruck gemacht, dass sie neben ihrer Hebammentätigkeit noch anderen Künsten nachgeht, oder was glaubt ihr, weshalb sie sich den jungen Medicus angeln konnte?«, gab Ottilia Zengerle zu bedenken und zog den hellen Mantel vor ihrem gewölbten Leib zusammen. »Immerhin hat sich zuvor schon so manches Frauenzimmer ihre Zähne an dem stattlichen Mannsbild ausgebissen. Nie hat er uns auch nur mit einem Blick bedacht. Die Flickschneiderin glaubte bereits, er sei mehr an seinesgleichen interessiert«, sagte die Zengerle und biss sich auf die Lippe.
Mit eisernem Willen straffte Luzia ihren Rücken, um den giftigen Pfeilen der geschwätzigen Weiber standhalten zu können. Die Mehrzahl der Männer schwieg, sie machten sich wohl ihre eigenen Gedanken.
Angesichts der öffentlichen Anfeindungen einiger Frauen wuchs ihr Zorn über die Blindheit dieser leichtgläubigen Menschen.
Nicht einmal Nanne hatte sich nach der Messe zu ihr gestellt, um ein paar Worte zu wechseln. Diese Tatsache traf
Luzia am härtesten, doch wenn sie genauer über das Verhalten der Freundin nachdachte, fiel ihr auf, dass sich die Baderstochter bereits seit einiger Zeit immer mehr von ihr entfernt hatte.
Ohne auf die Pfützen zu achten, rannte Luzia mit wehendem Haar und gebauschten Röcken die Kirchstraße entlang und am Rathaus vorbei. Das Wasser im gewaltigen Rathausbrunnen schürte ihre aufkeimende Furcht noch weiter. Es klang wie tausend Stimmen und doch wie eine einzige.
»Luzia, lauf! Lauf schnell!«, raunte es aus dem Brunnen. Während sie in die Marktstraße einbog, zitterte sie, dennoch stand ihr der Schweiß auf der Stirn und suchte sich einen Weg über ihren Hals zwischen ihre Brüste. Sie achtete nicht auf den Weg und trat in die tiefe Fahrspur, die ein schwer beladenes Ochsengespann in den feuchten Boden gegraben hatte, knickte um und stolperte. Noch während sie fiel, verließ sie die gesamte Kraft, und sie glaubte, nicht wieder aufstehen zu können.
Dann sah sie in die grünen Augen des verkrüppelten Bettlers, der sich über sie beugte. Er war auf dem Weg zum Frauentor, wo er die meiste Zeit des Tages auf Almosen wartete. Der Mann ohne Beine reichte ihr die Hand und half ihr beim Aufstehen.
»Geht es Euch gut?«, wollte der Krüppel voller Besorgnis wissen.
Luzia nickte und rannte ohne Dank weiter. Atemlos erreichte sie nach einer gefühlten Ewigkeit endlich die schützenden Mauern der Apotheke. Ihre Hand zitterte so sehr, dass sie mehrere Versuche benötigte, um den großen Schlüssel ins Schloss zu befördern.
Im Inneren war es dunkel und still. Luzia sank hinter der
Tür zu Boden. Nepomuk begrüßte sie mit einem langgezogenen Maunzen und strich um ihre schlammigen Röcke. Ein tiefes Schluchzen befreite sich aus ihrer Brust und ließ ihr Herz endlich wieder atmen.
Leichtfüßig sprang der Kater auf ihren Schoß und rieb seinen Kopf an ihrer Wange. Luzias Tränen netzten sein weiches Fell, und während der Rabenpelz geduldig darauf wartete, dass sie sich den Schmerz von der Seele wusch, atmete sie den tröstlichen Duft von Heu und Wiesenkräutern, der seinem Fell entströmte. »Alles wird gut!«, schienen seine klugen Augen zu sagen, doch heute schenkte ihm Luzia keinen Glauben. Sie sehnte
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