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Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Haller
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Ettenhofer, bitte bedenkt, wer den Jungen in unsere Obhut gegeben hat, und Ihr werdet dem Verursacher des Unwetters auf die Spur kommen.
    Ich selbst dachte schon immer, dass mit dieser zutiefst sündig wirkenden Person etwas nicht stimmt. Wer sonst, wenn nicht der Leibhaftige selbst, hat diesem Weib das Haar in Feuer getaucht? Sie sucht es nicht einmal zu verbergen, sondern trägt es öffentlich zur Schau. Und bitte verzeiht, aber habt Ihr je gesehen, wie dieses Weib seine Hüften schwingt? Sie ist die Sünde selbst!
    Den Stadtmedicus hat sie bereits verhext. Er ist ihrem Liebesgeflüster schon verfallen. So häufig, wie der Hengst des Herrn Medicus vor der Apotheke steht und auf seinen Reiter wartet, treiben die beiden sicher Unzucht miteinander. Bitte verzeiht, dass ich mich in diesem Brief so sehr echauffiere, aber die Gassnerin hat, wie es bereits überall erzählt wird, die Seele des kleinen Vinzenz dem Teufel versprochen. Als sie das Unwetter heraufbeschworen hat, hat er sich nur geholt, was ihm zustand. Arme kleine Seele!
    Eine Abschrift des Schreibens geht in dieser Stunde noch an Kaplan Grumper. Bis zur Beisetzung liegt der Junge aufgebahrt in unserer kleinen Kapelle.
    Wenn Ihr Euch von ihm verabschieden wollt, seid Ihr im Kloster jederzeit willkommen. Ich muss Euch jedoch warnen, sein Leichnam gleicht dem eines Greises, und nichts erinnert mehr an ein nur wenige Monate altes Kind. Das Böse ist unter uns. Kaplan Grumper, Bruder Anselm und ich wussten das schon von Anfang an. Doch nun ist es an der Zeit, dass auch Ihr, hochgeschätzter Herr Bürgermeister,
Euren Standpunkt überdenkt und das Richtige tut.
    Es grüßt Euch Schwester Immaculata als ehrwürdige Mutter der Franziskanerinnen.
    Ettenhofer warf den Brief auf den Schreibtisch und schloss für einen Augenblick die Augen. Dann stand er auf und trat ans Fenster.
    Neben den Franziskanerinnen saßen ihm Benedict Egle und Ludwig Bopfler im Nacken, die weitere Räte aufstachelten und ihn bedrängten, seine Augen nicht mehr länger vor dem Hexentreiben zu verschließen. Nicht zu reden von Kaplan Grumper, der geradezu davon besessen war, das Unwetter einem Wetterzauber zuzuschreiben. Nicht zu vergessen Bruder Anselm, der ihm etwas wirklich Ekelhaftes berichtet hatte. Angewidert schüttelte Ettenhofer den Kopf, ließ sich wieder in seinen Stuhl fallen und versuchte Bruder Anselms Käfergeschichte zu verdrängen.
    Wenig später erhob er sich erneut, um die Wanderung durch sein Zimmer fortzusetzen.
    Herrgott noch einmal! Hatten die Leute denn völlig den Verstand verloren? Da hatten sie schon das Glück, die tüchtigste Wehmutter im ganzen Schussental auf der Gemarkung Ravensburg zu wissen, und einigen Spinnern fiel nichts Besseres ein, als der Jungfer Hexerei anzulasten!
    Von ihrem Onkel wusste er, wie sehr die junge Frau den Bodensee vermisste, und dennoch hatte sie Ravensburg nicht einmal für einen Besuch bei ihren Zieheltern verlassen. So sehr fühlte sie sich den Menschen dieser Stadt verpflichtet. Mit großen Schritten eilte Ettenhofer zu der mit wertvoller
Schnitzarbeit verzierten Tür, die sein geräumiges Amtszimmer von dem kühlen Treppenhaus trennte, und riss sie auf.
    »Nikolaus!«, rief er gereizt nach dem Ratsknecht.
    »Herr Bürgermeister, was kann ich für Euch tun?«, fragte der in devoter Haltung herbeieilende junge Mann.
    »Ich möchte Wein. Viel Wein! Der Kellermeister soll dir einen großen Krug mit dem alten Hagnauer befüllen. Lauf! Du könntest schon wieder hier sein.«
    Nikolaus entfernte sich mit einer Verbeugung und kam bald darauf mit dem Gewünschten zurück.
    »Geh jetzt! Ich muss nachdenken, und keine Besucher, hörst du! Sag den Leuten, ich …«, nachdenklich rieb sich Ettenhofer das Kinn. »Ach, zum Kuckuck, es ist mir völlig egal, was du ihnen sagst. Ich bin für niemanden zu sprechen!«
    Der schwere Rotwein schimmerte im Schein der Wachskerzen rubinrot und verströmte den Duft nach sonnenwarmem Eichenholz und reifen Kirschen. Bereits nach dem ersten Schluck wärmte er Ettenhofers verkrampften Magen und brachte die eisigen Steine zum Schmelzen. Durstig leerte der Bürgermeister einen weiteren Becher und lehnte sich bereits ein wenig entspannter zurück.
     
    Während der Messe lag neben Grete Muntz nun auch Bruder Anselm mit ausgebreiteten Armen in der Apsis und flehte darum, gehört zu werden. Die beiden rührten sich während des gesamten Gottesdienstes nicht vom Fleck, sondern lagen wie zwei lebensgroße Heiligenfiguren

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