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Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Haller
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Wein ein. »Es gibt keinen Grund zu lachen«, versicherte Luzia und berührte sanft seine große Hand, die sich sogleich auf der Suche nach Trost um die ihre schloss. Während sie die wilde Not seiner Seele am eigenen Leib spürte, bohrte sich der durchdringende Blick des Kaplans in ihren Rücken.
    »Wollt Ihr nicht mit Hochwürden Grumper ein Gebet sprechen?«
    Klingeisen schüttelte den Kopf. »Er mag mich nicht. Ihr hingegen … Euch umgibt etwas Heiliges, etwas, das ich nicht beschreiben kann«, flüsterte er und versuchte ein Lächeln.
    Luzia spürte, wie sich Grumpers Augen in ihr Fleisch brannten. Sie wusste, er hörte jedes Wort, das der junge Mann an sie richtete. »Meine Beine, sie sind eiskalt, und in der Ecke dort, ist das nicht mein Vater?«, murmelte er ängstlich. »Er ist doch schon viele Jahre tot.«
    Luzia zog die raue Pferdedecke über seine Beine und berührte seine bleiche Stirn. »Er ist gekommen, damit Ihr den
Weg nach Hause findet«, sagte sie sanft und streichelte seine mit Bartstoppeln bedeckte Wange.
    »Er wirkt gelassen, fast heiter. So habe ich ihn früher nie erlebt. Damals war er immer grimmig, und wir Kinder hatten Angst, dass er uns schlägt.«
    Luzia nickte. »Heute braucht Ihr ihn nicht zu fürchten«, versicherte sie.
    Klingeisen nickte schwach.
    »Glaubt Ihr, da, wo ich hingehe, ist es sehr dunkel?«
    Luzia schüttelte den Kopf. »Nein, seht Ihr nicht das Licht in seiner Hand?«
    Klingeisen sah in die Ecke, in der schon seit geraumer Zeit Azrael wartete. Der schöne Engel, dessen Flügel schwarz wie die Schwingen eines Raben glänzten, wartete geduldig, bis das letzte Sandkorn durch das Glas der Zeit gefallen war. Dann endlich würde die Seele den geschundenen Körper verlassen können, um in seinen Armen gesund zu werden.
    »Was redest du da für einen Unsinn?«
    Luzia fuhr zusammen, als Grumper wie eine Krähe über ihr stand und sie aus zusammengekniffenen Augen anfunkelte.
    »Klingeisen wird in der Hölle schmoren, denn er hat sich geweigert, seine Sünden zu bereuen«, stellte der Geistliche entschieden fest.
    Luzia schüttelte über so viel Herzlosigkeit den Kopf.
    »Ich habe keine Angst mehr«, versicherte der Sterbende leise. »Ich muss jetzt gehen, Vater wartet, und der Weg ist noch weit.«
    Luzia nickte stumm.

    Während der Kaplan die heilige Messe las, schwebte er wie ein Schatten von Raum zu Raum, um die heilige Kommunion zu verteilen. Luzia, die gerade ein Leinen, das sie zuvor in eine Mischung aus Hirtentäschel und Schafgarbe getaucht hatte, auf den Bauch eines jungen Mannes legte, bemerkte den Kaplan gar nicht, als er den Raum betrat. Erst Johannes’ warme Hand auf ihrer Schulter veranlasste sie aufzuschauen.
    »Legt Eure Arbeit einen Augenblick zur Seite und lasst Euch von Hochwürden Grumper stärken.«
    Zögernd folgte sie dem Medicus, der sie ein wenig abseits der Strohsäcke führte. Neben dem Tisch mit chirurgischen Instrumenten knieten bereits Bruder Anselm, Bruder Walko und Bruder Edmund neben Friko Hofmeister und Wilhelm Stadler. Sie alle warteten auf die heilige Kommunion. Zögernd nahm auch Luzia ihren Platz ein. Grumper starrte voller Ekel auf die gebogenen Messer, die blutgetränkte Scharpie und auf das Glas mit Hirschkäfern.
    »Der Leib Christi.« Luzia wich ein wenig zurück, als sich Grumpers Hand ihrem Gesicht näherte. Als sie mit dem Schuh gegen die Wand in ihrem Rücken stieß, lockerte sich das Kreuz über ihr und fiel neben ihren Füßen zu Boden. Ein erschrockener Schrei löste sich aus ihrer Kehle. Der Medicus sprang auf.
    »Bruder Anselm, Ihr solltet dafür Sorge tragen, dass uns das Kreuz trägt und uns Trost spendet und uns nicht auf den Kopf fällt«, tadelte von der Wehr den älteren Antoniter.
    Grumper fixierte Luzia währenddessen wie eine Schlange das Kaninchen. Luzia spürte die Hostie auf ihrer Zunge. Doch der Leib Christi schenkte ihr weder Ruhe noch Stärke. Nicht aus der Hand des Kaplans.

    Wenig später sprach Grumper den Segen, packte seine Gegenstände zusammen und begab sich auf den Heimweg. Dort würden sich schon bald die ersten Ravensburger zur Abendmesse einfinden. Ein kaum wahrnehmbares Lächeln bildete sich um seine schmalen Lippen. Es gab ihm das Aussehen eines Raubvogels.

15
    W ährend die sichtbaren Wunden zum größten Teil verheilt waren, krankte Ravensburgs Seele immer noch. Das klaffende Loch, welches das Unwetter ins Herz der Stadt gerissen hatte, blutete nach wie vor und lähmte die Bewohner. Seit dem

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