Seelenfeuer
sich wie noch nie in ihrem Leben nach Seefelden. In Elisabeths schützende Arme …
Der Markttag begann trüb und viel zu kühl. Während die Turmbläser mit der fünften Stunde auch die Öffnung der Stadttore ankündigten, machte sich Luzia auf den Weg zum Markt. Auf diese Weise hoffte sie, auf möglichst wenige der geschwätzigen Weiber zu treffen, die ihr das Leben zur Hölle machten. Mit dem großen Weidenkorb unter dem Arm eilte sie über den weiten Marktplatz, auf dem sie trotz der frühen Stunde nicht die einzige Besucherin war. Dennoch war das Markttreiben noch sehr überschaubar.
Zwei Frauen aus der Unterstadt betraten den Marktplatz von der krummen Gasse her. Während sie mit tief in die Stirn gezogener Haube warteten, bis Luzia an ihnen vorüberging, steckten sie ihre Köpfe zusammen und starrten sie an. Scheinbar zufällig blieben sie dann hinter ihr und tuschelten.
»Hast du schon gehört, die Moser Amalia hat nach zwei ganzen Tagen in den Wehen ein totes Kind geboren!«
»Wer weiß, vielleicht hat ihr das die Gassnerin angetan, weil sie nicht zur Niederkunft gerufen wurde.«
»Das Wetter hat sie ja auch herbeigerufen. Warum soll sie nicht auch so etwas können? Ja, und die beste Milchkuh des Blasius Steffelin soll sie auch verzaubert haben. Sie gibt keinen Tropfen Milch mehr und treibt den Hof in den Ruin.«
»Die Gassnerin war doch lange unten am Bodensee. Vielleicht lernt man dort solche Dinge. Soviel ich weiß, wurde in Konstanz schon eine Frau wegen Hexerei hingerichtet.«
Dieses oder ganz Ähnliches widerfuhr Luzia seit Grumpers öffentlichem Angriff beinahe täglich, seither interessierte sich die ganze Stadt für nichts anderes mehr, und der Kaplan sorgte dafür, dass es auch weiterhin so blieb.
Drehte sich Luzia dann zu den Leuten um, die über sie sprachen, senkten sie den Kopf oder murmelten einen unverständlichen Gruß und verschwanden in der nächsten Gasse.
»Einen Sack Dinkel, ein paar Karotten, ein Pfund Butter und ein paar Eier«, zählte Luzia leise auf, um nicht weiter auf das Geschwätz hören zu müssen.
Die Marktstände wirkten im Zwielicht des Morgens wie in graue Lumpen gekleidete Klageweiber. Die hellen Stoffbahnen, die manche Händler zum Schutz vor Regen und Sonne über ihre Waren gespannt hatten, bewegten sich im leichten Wind wie langes, dünnes, eisgraues Haar.
Während Luzias Schritte über das Pflaster hallten, kam ihr die Stadt ringsum noch völlig still vor. Für das laute Schreien der Händler war es noch zu früh und für die emsigen Geräusche des Aufbaus schon ein wenig zu spät. Die schwarzen Fensterluken glotzten ihr aus leeren, blicklosen Augen nach
und verfolgten sie über den ganzen Platz. Überall wendeten die ersten Marktbesucher ihre Köpfe nach ihr um.
Die, die mir vorher vertraut haben, behandeln mich jetzt wie eine Aussätzige, dachte Luzia bitter.
Eine Leinweberfrau grüßte verhalten. Die Frau des Pfannenschmieds senkte ihren Blick und murmelte etwas Finsteres, ehe sie zwischen den Marktständen in der Steiggasse verschwand.
Als sie sich zu den Wartenden am Stand für die Eier gesellte, vernahm Luzia, wie zwei Weiber miteinander flüsterten.
»Nicht einmal jetzt trägt sie eine Haube, um ihr fürchterliches Haar zu verbergen!«, schimpfte die eine. Wie so oft trug Luzia ihr Haar zu einem Zopf geflochten, der ihr bis weit über den Rücken reichte.
»Das ist doch kein Wunder, der Doktor liebt ihr rotes Haar«, entgegnete die andere.
»Das habe ich auch gehört. Meinst du, sie ist untenrum auch so feurig?« Ein kicherndes Glucksen folgte.
»Über die geheime Stelle spricht man doch nicht«, wies sie die erste in gespielter Entrüstung zurecht und kicherte weiter. »Kaplan Grumper behauptet, sie reitet das ärztliche Zepter jede Nacht und dass sie dabei Tierlaute von sich gibt!«
Die andere sog scharf die Luft ein.
»Unmöglich! Das wäre ja …«
»Unzucht in ihrer widerlichsten Art!«, beendete eine dritte Frau, die sich dazugesellt hatte, die Überlegungen der beiden anderen.
»Natürlich treibt sie es mit ihm, oder weshalb, glaubst du, steht sein Pferd unentwegt vor der Apotheke?«
»Sicher nicht wegen des alten Apothekers!«
»Ja, der arme Basilius! Er hat auf seine alten Tage wahrlich etwas Besseres verdient als diese rote Hexe. Aber ich habe schon immer gesagt, mit der stimmt was nicht.«
»Ich möchte zwanzig Eier, bitte«, sagte Luzia, als sie an der Reihe war, und reichte der älteren Marktfrau ihren Henkelkorb.
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