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Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Haller
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Sie nahm ihn mit spitzen Fingern entgegen. Ehe sie ihre Arbeit fortsetzte, schnäuzte sie sich geräuschvoll in ihre blaue Schürze.
    »Zwanzig?«, fragte sie unfreundlich.
    Luzia nickte zögernd. Ihre Brust hielt ein viel zu enges Band aus Eisen gefangen und erstickte ihren Atem. Ihre Zunge klebte wie ein trockenes Leder an ihrem Gaumen und machte das Schlucken unmöglich. Während sie die Münzen aus ihrem Beutel zählte, rempelte eines der Weiber sie von hinten an.
    Luzia glaubte in Flammen zu stehen. Selten hatte sie so niederträchtige Gedanken wahrgenommen. Mit Entsetzen erkannte sie, auf welch fruchtbaren Boden die Worte des Kaplans gefallen waren. Ein lähmendes Gefühl der Hilflosigkeit legte sich wie ein Mantel aus Hass und Angst um sie und zwang sie fast in die Knie. Während sie den Korb wieder entgegennahm, stieß sie an die beiden anderen.
    »Da hat es aber jemand eilig!«, lachte Christina Bühler, die Kürschnerfrau aus der Veitsgasse voller Hohn.
    Luzia hatte sie erst im Lenzmond von ihrem ersten Kind entbunden. Die schwere Geburt hätte die Bühlerin fast das Leben gekostet. Sie erinnerte sich an die starke Blutung, die oft den Tod zu Folge hatte. Nachdem Gretes Gebete ohne Erfolg geblieben waren, hatte Mutterkorn der Kürschnerfrau das Leben gerettet.

    Sie presste den Korb an ihre Brust, als wäre er ihr Schild gegen die bösen Zungen. Das Beste wäre es gewesen, einfach weiterzugehen, ihre Einkäufe in Ruhe fortzusetzen. Ein wenig Butter und Dinkel … Aber die Worte formten sich von ganz allein auf ihrer Zunge.
    »Ich wünsche Euch bereits heute viel Glück!«, sagte Luzia so ruhig wie möglich und sah der Bühlerin in die Augen.
    »Sie wünscht mir Glück!«, spottete die Bühlerin kichernd. Die beiden anderen Frauen fielen in ihr Lachen ein. »Und wobei, wenn ich fragen darf?«
    Luzia lächelte milde.
    »Wenn Ihr Euch in weiteren sieben Monden auf Gretes Gebete verlassen werdet. Ich hoffe für Euch, dass der Himmel ihr beim nächsten Mal mehr Gehör schenken wird, sonst sehe ich schwarz«, entgegnete sie völlig teilnahmslos, kehrte den Frauen den Rücken und ging langsam davon.
    Das Lachen blieb der Kürschnerfrau im Hals stecken, wusste sie doch selbst erst seit ein paar Tagen, dass sie wieder neues Leben in sich trug.
     
    Sobald sich Luzia außer Sichtweite wusste, beschleunigte sie ihren Schritt. Schließlich raffte sie ihre Röcke und rannte in Richtung Rathaus davon. Tränen brannten in ihrer Kehle und nahmen ihr die Sicht. Ein paar Mal strauchelte sie und entging nur mit knapper Not einem Sturz auf den morastigen Boden. Vereinzelt blieben die Leute stehen und blickten ihr nach. Sie kam sich vor, als bewege sie sich in einem Tunnel aus bösen Gedanken, dessen Ende noch in weiter Ferne lag.
    Aus allen Ecken und Gassen strömten jetzt die Kaufwilligen auf den Marktplatz. Manche zogen einen scheppernden
Handkarren hinter sich her, andere brachten gleich ein Lasttier mit. Während die Männer den Holzmarkt oder die Viehhändler aufsuchten, wollten die Frauen zu den Obst- und Gemüseständen oder zur Brotlaube. Selbst im Salzhaus, das in der Verlängerung des Rathauses stand, warteten bereits einige Leinweber und Färber mit ihren Schubkarren, bis sie an der Reihe waren.
    Luzia rannte hastig weiter. Sie geriet abermals ins Straucheln, und dabei fielen zwei Eier aus ihrem Korb und zersprangen auf dem Boden. Augenblicklich stürzten sich zwei Hunde kläffend auf die unerwartete Beute. Darüber erschrak Luzia dermaßen, dass ihr um ein Haar der ganze Korb aus den Händen geglitten wäre. Mit laut klopfendem Herzen hastete sie davon. Matsch spritzte bei jedem Schritt über ihre Röcke und ließ sie feucht und klamm werden. Sie sah weder nach rechts noch nach links, sondern folgte einer unsichtbaren Linie, die sie geradewegs in die Marktstraße lenkte.
    Als endlich die Apotheke in Sicht kam, beschleunigte Luzia ihren Schritt nochmals. Sie wollte sich nur noch in die stille Dunkelheit der schützenden Mauern zurückziehen und das Haus nie mehr verlassen.
    Als sie den Blick hob, entdeckte sie zu ihrer grenzenlosen Erleichterung Johannes von der Wehr. Lässig stand er neben seinem Pferd und befestigte die Zügel am Eisenring in der Mauer neben der Apotheke. Abrupt blieb Luzia stehen, um ihn anzusehen. Johannes erschien ihr wie ein Ritter in strahlender Rüstung. Seine Füße steckten in eleganten Reitstiefeln, die ihm bis unters Knie reichten. Wie immer trug er enge schwarze Hosen und ein

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