Seelenfeuer
sich alles verändert hatte, bekümmerte ihn tief.
»Und Claudius hilft nicht?« fragte Selene, während sie durch den Vorhof des Tempels gingen, wo noch mehr Menschen lagen – Männer, Frauen und unterernährte Kinder.
»Claudius ist blind vor Liebe zu seiner Frau Messalina, dieser Hexe, und vor Ehrgeiz, Britannien zu erobern. Er sagt mir, ich soll zu Äskulap beten und ihm Opfer bringen.«
Selene schwieg nachdenklich. Dann sagte sie: »Ich werde euch helfen.«
Herodas sah sie nur traurig an. Vor ihr waren schon andere gekommen und hatten ihre edlen Absichten erklärt; diese junge Frau mit ihrem wunderbaren Medizinkasten und ihren erstaunlichen Fähigkeiten würde bald den Mut verlieren und wegbleiben wie alle anderen.
55
Paulina warf einen letzten Blick auf das Halsband, um sich zu vergewissern, daß sie richtig gewählt hatte, dann klappte sie das Kästchen zu und übergab es dem wartenden Boten. Das Geschmeide, aus edelsten Perlen des Roten Meeres gefertigt, war ein Geschenk für die Kaiserin. Paulina mochte Messalina nicht, aber sie wußte, daß es ratsam war, sich die Gunst dieser mächtigen Frau zu erhalten.
Nachdem der Bote gegangen war, um das Geschenk in den kaiserlichen Palast zu bringen, wo Messalina in Abwesenheit ihres Gatten eines ihrer berüchtigten Feste feierte, musterte Paulina die anderen Geschenke, die auf dem Tisch ausgelegt waren.
Es war Sitte, sich aus Anlaß der Saturnalien, einem fünftägigen Fest im Dezember zu Ehren des Gottes Saturn, zu beschenken und üppige Gelage abzuhalten. An diesem Abend erwartete Paulina acht Gäste; die Düfte bratenden Schweine- und Pfauenfleisches zogen schon durch die Villa. Doch ihr war das Herz schwer. Sie wußte, es würde sie Anstrengung kosten, an diesem Abend fröhlich zu sein.
Mein erstes Saturnalienfest ohne Valerius …
Sie kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen. Aus einer der ältesten und vornehmsten Familien Roms stammend, war sie nach dem alten patrizischen Ideal erzogen worden, dem Haltung und Würde, jene beiden Eigenschaften, die den Aristokraten ausmachten, mehr galten als alles andere. Sie durfte ihre Schwäche nicht sehen lassen. Valerius, wäre er am Leben, wäre enttäuscht von ihr.
Sie zwang sich, ein letztes Mal die Geschenke zu mustern – ein Gedichtband für Maximus, ein goldener Teller mit kunstvoller Einlegearbeit für Juno, eine Leier aus Schildpatt für Decius’ Frau. Alles in hübsches buntes Tuch eingepackt und mit Namensschildern versehen.
Aber keine Spielsachen …
In starrer Haltung, das Gesicht so unbewegt wie eine Maske, ließ Paulina den Sturm des Schmerzes über sich hinwegfegen. Dann ging sie die Treppe hinauf in ihre Privaträume. Sie wollte vor der Ankunft ihrer Gäste in Ruhe überlegen, wie sie ihre unerwünschten Hausgäste loswerden könnte.
Sie nahm es Andreas beinahe übel, daß er ihr das angetan hatte. Er hatte ihr keine Wahl gelassen, es für selbstverständlich gehalten, daß sie Selene und Ulrika aufnehmen würde. Er hatte ihr aus Britannien sogar einen Dankesbrief geschrieben, in der Annahme, daß sie gehandelt hatte, wie er es von ihr erwartete. Aber sie wollte die beiden nicht länger in ihrem Haus haben. Darum mußte sie sich jetzt etwas einfallen lassen, um sie auf taktvolle Weise loszuwerden.
Besonders das Kind.
Sie lebten jetzt seit mehr als zwei Monaten im Haus. Es wurde langsam unerträglich. Wenn es nur die Mutter gewesen wäre; Selene war ruhig und zurückhaltend, war den ganzen Tag außer Haus und hielt sich abends stets in ihrem Zimmer auf.
Aber das Kind!
Ulrika saß mit Vorliebe im Innenhof und unterhielt sich mit den Sklaven. Mit einigen von ihnen hatte sie sich sogar angefreundet. Immer war ihre helle Stimme zu hören, Paulina wußte nie, wann sie ihr plötzlich gegenüberstehen würde – einmal hatte sie das Mädchen sogar in der Bibliothek ertappt, wie sie die Schriftrollen durchgesehen hatte.
Paulina schloß die Augen. Ulrikas Gelächter, ihre Anwesenheit, waren ihr dauernder Schmerz.
Sie ist fast dreizehn, dachte sie. Valeria wäre diesen Monat dreizehn geworden.
Eine Sklavin, die die Ankunft der ersten Gäste – Maximus und Juno – meldete, riß Paulina aus ihren Gedanken. Doch genau da hatte sie einen Einfall. Maximus und Juno lebten den größten Teil des Jahres in ihrer Villa in der Nähe von Pompeji und drängten sie schon seit Monaten, sie dort zu besuchen.
Das war die Lösung! Paulina war erleichtert.
Heute abend würde sie die beiden damit
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