Seelenfeuer
waren?
Ehe sie ihr Gewand lupfen und sich mit nacktem Gesäß auf seinen Schoß setzen konnte, stand Andreas auf. Mit einem förmlichen Gruß an den Kapitän sagte er: »Ich bin bei Tagesanbruch beim Schiff.« Dem verwirrten Mädchen drückte er eine goldene Münze in die Hand, die erste, die sie je in den Fingern gehalten hatte.
Die Nachtluft war heiß und drückend. Es war Sommer, und der Orontes wälzte sich träge durch das Land. Andreas sah scharf nach rechts und links. Die Lampen und Pechpfannen in Türen und Fenstern erleuchteten die Straße. Andreas zog seine Toga zur Schulter hinauf und machte sich auf den Weg am Wasser entlang, hielt sich, wie ihm die Erfahrung gebot, in den hellen und von Menschen belebten Straßen. Er kannte die Hafenviertel vieler Handelsstädte des Römischen Reiches – sie waren überall gleich.
Beim Gehen vertiefte er sich in seine Gedanken. Ja, die Rastlosigkeit hatte ihn wieder gepackt. Aber diesmal früher als sonst. Bisher hatte er zwei, drei Jahre in Ruhe leben können, ehe das Gift sich aufstaute und draußen auf hoher See ausgewaschen werden mußte. Diesmal war seit seiner letzten Reise mit Naso nur ein Jahr vergangen. Und schuld war dieses Mädchen.
Nachdem sie gegangen war und der bewußtlose Teppichhändler ins Sklavenquartier gebracht worden war, hatte Andreas zu seiner Verwunderung und seinem Ärger festgestellt, daß er das Mädchen nicht vergessen konnte. Am Nachmittag, als sie so schön und scheu vor ihm gestanden und mühsam um jedes Wort gerungen hatte, hatte Andreas sich flüchtig angerührt gefühlt. Aber er hatte sich hart gemacht mit den Jahren und wehrte das zarte Gefühl ab. Härte war Sicherheit; wenn man Gefühle nicht zuließ, konnten sie auch nicht verletzt werden. Darum hatte er sie ruhig gehen lassen und am folgenden Morgen den Sklaven Malachus ausgesandt, Naso zu suchen. Wäre Naso nicht in der Stadt gewesen, so hätte es auch ein anderer Kapitän getan, Hauptsache sein Schiff segelte in weite Fernen. Doch zum Glück war Naso in Antiochien gewesen und würde mit seinem Schiff am folgenden Tag nach Britannien segeln. Und bei Tagesanbruch würde Andreas auf diesem Schiff sein.
Ein plötzlicher Aufschrei, dem laute Rufe folgten, riß ihn aus seinen Gedanken. Als er sich umdrehte, sah er aus einer Gasse einen Mann herausstürzen.
»Hilfe«, schrie der Mann und packte Andreas’ Arm mit blutverschmierter Hand. »Mein Freund ist verletzt. Er blutet.«
Argwöhnisch spähte Andreas über des Mannes Schulter und sah im Schatten am Ende der Gasse einen Mann auf dem Boden liegen, der sich mit einer Hand das blutende Ohr hielt. »Was ist denn passiert?« fragte er.
»Wir sind überfallen worden. Mein Freund und ich, wir wollten den Weg abkürzen, und da haben sie uns überfallen. Sie haben ihm das Ohr abgeschnitten.«
Andreas sah dem Mann ins Gesicht, das grau war vor Entsetzen, und blickte dann wieder zu dem Mann hinüber, der in einer Blutlache auf der Straße lag. Gerade wollte er sich abwenden, da sah er plötzlich das stammelnde Mädchen vor sich, das die Vorübergehenden anflehte, einem verletzten Fremden zu helfen.
»Ich bin Arzt«, sagte Andreas impulsiv. »Ich will sehen, ob ich helfen kann.«
»Mögen die Götter dich dafür segnen«, rief der Mann und rannte schon die Gasse hinunter.
Andreas kniete bei dem Verletzten nieder und sah, daß der Fremde schwer verwundet war. »Beruhige dich, Freund«, sagte er. »Ich bin Arzt. Ich helfe dir.«
Da sagte der andere Mann, der immer noch stand, mit leiser, drohender Stimme: »Ja, und wenn du jetzt nicht sofort tust, was ich sagte, werde ich dir auch helfen.«
Andreas hob den Kopf und sah das blutige Messer. Im selben Moment erkannte er, daß er auf einen der ältesten Tricks der Welt hereingefallen war. Der Mann, der da in seinem Blut lag, war das erste Opfer gewesen, und man hatte sich seiner bedient, um ein zweites anzulocken. Andreas wurde eiskalt.
»Du kannst mein Geld haben«, sagte er so ruhig er konnte.
Doch da schwang der Räuber schon den Arm in die Höhe. Das Messer blitzte auf, als es zu Andreas’ Gesicht herabsauste. Unmittelbar bevor es ihn traf, bevor Sterne und Straßenlichter in schwarzer Nacht versanken, dachte Andreas: So ist es denn endlich soweit, nach all den Jahren …
4
Mera folgte dem jungen Fackelträger nur mißmutig die dunkle Straße hinunter. Sie hatte an diesem Abend nicht aus dem Haus gehen wollen; sie steckte mitten in den Vorbereitungen zu Selenes Geburtstag
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