Seelenfeuer
Nasos Schiff zu fernen Häfen zu segeln. Wenn Andreas an Bord kam, war er stets unzugänglich und verschlossen, und in seinen Augen spiegelte sich ein tiefes, unergründliches Verlangen. Wochenlang pflegte er beinahe reglos an Deck zu stehen, den Blick in die Ferne gerichtet, immer abseits und alleine, nicht einmal die Mahlzeiten mit den Leuten gemeinsam einnehmend. Und immer dann, wenn Naso unruhig zu werden begann und dachte, er wird über Bord springen, trat die Veränderung ein. Andreas wurde plötzlich gesellig, sprach und aß mit den Leuten, und kehrte schließlich wie innerlich gereinigt nach Hause zurück.
Jetzt hatte ihn das Fieber wieder gepackt. Naso sah es ihm an. Er kannte diesen Ausdruck, hatte ihn in Alexandria, in Byblos und in Caeserea gesehen, den Hafenstädten, wo der wandernde Arzt gelebt hatte. Als Naso im vergangenen Jahr gehört hatte, daß Andreas in Antiochien ein Haus gekauft hatte, hatte er Hoffnung für den Freund gesehen. Jetzt wird er ruhiger werden, hatte der Kapitän gedacht. Er wird heiraten und eine Familie gründen. Aber nun, nach nur wenigen Monaten in seinem prächtigen Haus, war Andreas wieder hier, suchte im Hafen nach einem Schiff, das ihn weit fortbringen konnte.
Naso hätte sich nie einfallen lassen, ihn zu fragen, was ihn immer wieder auf die See hinaustrieb. Er kannnte das unter den Ärzten gebräuchliche Wort, ›Heile dich selbst, Arzt‹, aber er hatte den Verdacht, daß die Verwundung mit Salben und Wässerchen nicht zu heilen war.
»Wir segeln bei Tagesanbruch mit der Ebbe«, sagte Naso, nachdem die Bedienerin ihm ein frisches Bier gebracht hatte. Er nahm eine der Würste, die auf einem Teller auf dem Tisch standen, wickelte sie in einen flachen Brotfladen und stopfte sie sich in den Mund. »Diesmal geht’s bis zu den Heraklessäulen und weiter. Paßt dir das, Andreas?«
Andreas nickte. Das Ziel der Fahrt war ihm stets gleichgültig; die Fahrt selbst war ihm wichtig. Er hatte seinem Sklaven Malachus gesagt, daß er diesmal vielleicht sechs Monate wegbleiben würde. Malachus, dem das merkwürdige Bedürfnis seines Herrn, von Zeit zur Zeit zur See zu fahren, vertraut war, würde in seiner Abwesenheit das Haus versehen.
»Nimm dir heute abend noch einmal eine Frau«, sagte Naso, der seine Wahl schon getroffen hatte. »Wird lang dauern, ehe wir wieder Frauen zu sehen bekommen.«
Aber Andreas schüttelte den Kopf. Ihn interessierte an diesem Abend nur eine Frau – genauer, ein Mädchen. Das Mädchen mit dem Sprachfehler, das ihm am Vortag den Teppichhändler gebracht hatte.
Stirnrunzelnd sah Andreas sich in der Taverne um, während er versuchte, alle Gedanken an das Mädchen beiseite zu schieben.
Warum? dachte Andreas. Er war auf seinen Reisen vielen Frauen und Mädchen begegnet, keine hatte ihn so beeindruckt wie diese, die fast noch ein Kind war.
Weil sie anders ist, sagte sein Herz, und sein Verstand widersprach: Nein, das ist sie nicht: Die Frauen waren im Grunde genommen alle gleich. Das wußte Andreas, der Arzt und das wußte Andreas, der Mann.
»Der da gefällst du«, bemerkte Naso und stieß Andreas an.
Andreas hob den Blick und sah auf der anderen Seite des Raumes eine junge Prostituierte, die ihn mit unverhohlenem Interesse musterte. Sie war groß für eine Frau, mit weißer Haut und kohlschwarzem Haar. Und sie hatte einen roten, roten Mund. Sie erinnerte ihn an –
»Na, gönn dir doch das Vergnügen«, drängte Naso und griff sich noch eine Wurst.
Andreas senkte den Blick. Die Erinnerung an den schönen lockenden Mund ließ ihn nicht los. Wie war ihr Name? Wie hieß sie?
Als er wieder aufblickte, sah er das Freudenmädchen, das sich, lachend grapschende Hände abwehrend, durch das Gewühl drängte. Naso bemerkte das gierige Blitzen in ihren Augen noch vor Andreas; sie wußte, daß sich ihr hier ein reicher Fang bot. Männer wie der Arzt mit seinen gepflegten Händen und dem edel geschnittenen Gesicht kamen selten in diesen Teil der Stadt.
Andreas beobachtete das Mädchen, und als sie vor ihm stand, war er enttäuscht. Die weiße Haut war nicht naturgegeben, sondern das Produkt dick aufgetragenen Reispuders; die schmalen Lippen waren rot übermalt, um ihnen eine Fülle zu verleihen, die sie nicht hatten. Mit einem Blick sah Andreas ihr bisheriges Leben – Mühsal und Mißbrauch – und ihre Zukunft. Eine böse Krankheit fraß sie von innen heraus auf. Wußte sie, fragte er sich, um die Kürze ihres Lebens? Wußte sie, daß ihre Tage gezählt
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