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Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Frau eines Fischhändlers eingerichtet und geschient; ihr rechter Arm war es gewesen, wie fast immer bei Frauen. Die Frau hatte behauptet, sie hätte ihn sich beim Sturz von der Treppe gebrochen, aber Mera wußte die Wahrheit: Der Arm war gebrochen worden, als sie ihn abwehrend gegen ihren tobenden Ehemann erhoben hatte. Unzählige Male hatte Mera im Lauf der Jahre diese gleiche Verletzung behandelt.
    Nachdem sie die Fischhändlersfrau versorgt hatte, hatte sie ein Geschwür aufstechen, ein entzündetes Ohr ausspülen und am Nachmittag eine Abtreibung vornehmen müssen. Das meiste hatte sie ohne die Hilfe ihrer Tochter schaffen müssen, deren weiches Herz sie wieder einmal verleitet hatte, sich um die Mißgeschicke eines Wildfremden zu kümmern.
    Selene schien sich verpflichtet zu fühlen, jedem Unglücklichen zu helfen, der ihr über den Weg lief, ganz gleich, wie vergeblich oder sinnlos ihre Bemühungen waren. Als kleines Mädchen hatte sie verletzte Tiere nach Hause gebracht, ihnen kleine Kästen gebaut und sie gesund gepflegt, ehe sie sie wieder freigelassen hatte. Später hatte sie ihre Puppen in kleine Betten gelegt und ihre hölzernen Gliedmaßen mit Verbänden umwickelt. Woher Selene diese Idee hatte, diese Vorstellung von einem Haus, wo Kranke gemeinsam wohnten, wußte Mera nicht.
    Mera starrte in die Dunkelheit, und in dieser Dunkelheit sah sie ihre Zukunft – den Tod. Und ich dachte, ich hätte noch Jahre vor mir. Aber das Schicksal befiehlt es anders.
    Die Geschwulst an ihrer Seite, die eines Tages plötzlich da gewesen und von da an schnell gewachsen war, hatte Mera das Unabänderliche menschlicher Vergänglichkeit gezeigt. So ruhig wie der Orontes war das Leben dahingeflossen; jetzt aber drängte die Zeit, und die Tage schienen sich zu überschlagen wie das Wasser eines Sturzbachs.
    Ich will zum Tempel gehen und das Orakel befragen, dachte sie. Ich muß wissen, was für eine Zukunft die Sterne für Selene bereithalten.

3
    Sie saßen in einer Taverne in Antiochiens Vergnügungsviertel, in einer Straße beim Hafen, wo die Prostituierten rote Lampen über ihre Türen hängten, um die ankommenden Seeleute wissen zu lassen, daß ihre Häuser geöffnet waren.
    Andreas und Naso, der Schiffskapitän, hatten sich in einer Ecke der Gaststube niedergelassen, abseits der trunkenen Menge, und sahen zwei nackten Tanzmädchen zu, die sich im Rhythmus von Cymbal und Flöte wiegten und drehten. Andreas beobachtete das Schauspiel mit Distanz. Obwohl für ihn als Arzt der nackte Frauenkörper nichts Geheimnisvolles hatte, ließen ihn solche verführerischen Darbietungen im allgemeinen nicht unberührt. Auf seinen Reisen hatte Andreas viele Tänzerinnen gekannt. An diesem Abend jedoch konnte er sich in die fröhliche Ausgelassenheit seiner Umgebung nicht hineinfinden, so sehr er es wünschte. Er konnte sich das Mädchen vom Marktplatz nicht aus dem Kopf schlagen.
    Größtenteils drängten sich Seeleute in der Taverne, eine lärmende, trinkfreudige Horde von Matrosen, die entweder von langer Fahrt zurückgekehrt waren oder ein letztes Mal kräftig feierten, ehe sie in See stachen. Aus allen Teilen der Welt kamen sie in die reiche Hafenstadt Antiochien; Männer, die die unglaublichsten Geschichten zu spinnen wußten. Männer mit herzhaften Gelüsten, aber einfachen Bedürfnissen. Es waren Heimatlose, von der Gesellschaft Ausgestoßene, aber gerade unter ihnen fühlte sich der hochkultivierte Andreas sehr zu Hause. Das war der Grund, weshalb er von Zeit zu Zeit die Gesellschaft des knorrigen, von der Sonne geschwärzten Naso suchte, der sich rühmte, die größte Nase in Syrien zu haben. Dreimal in der Vergangenheit hatten Andreas und Naso ihren sonderbaren Vertrag geschlossen, und sie hatten sich an diesem Abend in der Taverne getroffen, um die Bedingungen eines vierten auszuhandeln.
    Der Kapitän leerte seinen Krug und winkte der Kellnerin, ihm noch einen zu bringen. Andreas saß, wie Naso bemerkte und wie er es an ihm kannte, immer noch bei seinem ersten Bier, das er kaum angerührt hatte. Trotz ihrer langen Bekanntschaft und der gemeinsam bestandenen Abenteuer, blieb der schweigsame Arzt Naso ein Rätsel.
    Er hatte keine Ahnung, was Andreas immer wieder, in beinahe regelmäßigen Abständen, aufs Meer zog. Es war fast, als stünde er unter einem Zwang. Dreimal in den letzten Jahren war Naso Zeuge dieses unerklärlichen Verhaltens gewesen. Der Arzt hatte sein Haus abgeschlossen, seine Patienten fortgeschickt, um auf

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