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Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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und ihrer Initiation, die acht Tage danach folgen sollte. Sie mußte die Zeit nutzen, die ihr noch blieb. Aber als sie im Lichtschein, der aus ihrer geöffneten Tür fiel, das schmale Gesicht des kleinen Mädchens sah, das sie im vergangenen Jahr von einer Lungenentzündung geheilt hatte, und als das Kind sie anflehte, zum Hafen zu kommen, weil Naso, der Schiffskapitän, ihrer Hilfe bedürfe, wurde sie weich. Vor allem anderen war sie Heilerin. Sie hatte sich der Göttin mit heiligen Gelöbnissen verpflichtet.
    Das Zimmer der Dirne war unten am Fluß, in einer jener
insulae
, die, immer überbelegt, häufig samt allen Bewohnern einstürzten. Der Fackelträger führte Mera die schmale Steintreppe hinauf, wo das Mädchen wartete. Hinter ihr stand mit finsterer Miene ein massiger, vierschrötiger Mann – der Schiffskapitän, vermutete Mera nach seiner Kleidung.
    »Danke, daß du gekommen bist, Mutter«, flüsterte die Hure, die traditionelle Anrede gebrauchend. »Er ist hier drinnen.«
    Meras scharfes Auge vermerkte alles mit einem Blick: die elende Kammer, die Lampe, die unangenehm qualmte, weil sie mit billigem Olivenöl gefüllt war; die Blässe des Mädchens; schließlich den Mann, der reglos auf einer Matte lag.
    »Er wollte mit mir segeln«, bemerkte Naso, während Mera neben seinem Freund niederkniete. »Er ist von Räubern überfallen worden.«
    »Lebt er?« fragte das Mädchen, dessen Name Zoë war.
    Mera legte ihre Finger behutsam an den Hals des Bewußtlosen und spürte den schwachen Pulsschlag. »Ja«, antwortete sie und winkte dem Fackelträger, der ihr den Kasten brachte, den er getragen hatte. Es war ihr Medizinkasten, aus Zedernholz gemacht, in das heilige Zeichen eingeritzt waren. »Geh jetzt nach Hause, mein Sohn«, sagte sie. »Danke dir, daß du mich begleitet hast. Leg dich jetzt schlafen und sag deinem Vater, ich werde ihm morgen zum Dank seinen schlimmen Zahn ziehen.«
    Sie beugte sich über den Verwundeten und streifte ihm die Tunika ab. Als sie die Kette sah, die um seinen Hals lag, hielt sie inne und hob sie ans Licht, um sie näher anzusehen. An ihr befestigt war das Auge des Horus, Zeichen des ägyptischen Gottes der Heilkunde. Mera warf einen fragenden Blick auf den Kapitän.
    »Er ist Arzt?«
    »Ja, und er soll bei Morgengrauen mit uns in See stechen.«
    Mera schüttelte den Kopf. »Das wird nicht gehen, Kapitän. Er hat einen Schlag auf den Kopf bekommen.«
    Naso stieß einen erbitterten Fluch aus. »Dann kann ich hier nichts mehr tun«, sagte er und wandte sich zum Gehen.
    »Warte!« Zoë packte ihn beim Arm. »Du kannst ihn nicht hier lassen.«
    Naso riß sich los. »Ich muß mich um mein Schiff kümmern, Mädchen.«
    »Aber ich kann ihn hier nicht behalten«, rief sie. »Ich bringe meine Kunden hierher.«
    Er sah zu Mera hinunter, die gerade ihren Medizinkasten öffnete. »Kannst du ihn aufnehmen, Mutter?«
    »Er darf nicht bewegt werden.«
    Naso wiegte sich ratlos auf stämmigen Beinen. Er hatte keine Ahnung, wo Andreas wohnte. Nach flüchtiger Überlegung griff er in seinen Gürtel und zog einen kleinen Lederbeutel heraus. »Hier.« Er warf ihn dem Mädchen zu. »Behalte das als Bezahlung. Er hat’s mir für die Fahrt auf meinem Schiff gegeben.«
    Zoë öffnete den Beutel und riß die Augen auf beim Anblick der Münzen. Sie sah zu dem bewußtlosen Andreas hinüber, zu der Heilerin und rechnete hastig.
    »Gut«, sagte sie. »Er kann bleiben.«
    Mera bat um eine Schale Wasser, nahm Arzneien und saubere Tücher aus ihrem Kasten und dachte dabei die ganze Zeit an die halbfertige Stola zu Hause, das Frauengewand, das Selene bei der Einkleidungsfeier anlegen würde, und an die Elfenbeinrose, die sie noch zu einem Goldschmied bringen mußte, um sie an einem Halskettchen befestigen zu lassen. Würde sie das alles schaffen, und dazu die Schriftrolle mit den heiligen Formeln, die sie Selene noch schreiben wollte? Zwanzig Tage waren eine so kurze Zeit, und ihr kranker Körper bereitete ihr immer stärkere Schmerzen.
    »Ich werde ihn heilen«, sagte sie zu dem Mädchen und dem Kapitän. »Mag er auch ein Fremder sein, er ist Arzt und daher mein Bruder.«

5
    Zoë hockte mit gekreuzten Beinen auf dem Boden und zählte noch einmal die Münzen. Nicht um ihren Wert festzustellen, den wußte sie schon. Sie hatte die Münzen schon zwei Tage zuvor gezählt, als man den Fremden zu ihr gebracht hatte. Es hatte einen anderen Grund, daß Zoë die Münzen auf dem Fußboden auslegte – Silber hier,

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