Seelenfeuer
Atem an.
»Bist du das Mädchen?«
Sie zögerte. Sie hatte schon viele Rollen gespielt. Betrunkene, traurige Männer kamen in ihrer Einsamkeit zu ihr, weil sie sich nach Bythia, Deborah oder Lotus sehnten und in der Umarmung mit Zoë mehr suchten als die Befriedigung ihrer Lust – sie brauchten die Erfüllung eines Traums, eines Wunsches, einer letzten Hoffnung. Viele Nächte hatte sie nicht als Zoë, die Dirne, auf ihrer Matte gelegen, sondern als die lang vermißte Ehefrau, als Jugendliebe der Vergangenheit, manchmal als Frau eines anderen Mannes, gelegentlich sogar als Mutter. Wenn also dieser verwirrte Fremde in ihr ein Mädchen sehen wollte, dem er zufällig auf dem Marktplatz begegnet war, was konnte es schaden, wenn sie mitspielte und ihn dadurch glücklich machte?
»Ja«, antwortete sie, »ich bin das Mädchen.«
»Du bist fortgegangen, ohne mir deinen Namen zu sagen«, murmelte er, und rieb sich wieder die Stirn. Noch immer wußte er nicht, wo er sich befand, verstand nicht, warum sein Kopf so heftig schmerzte. Er hatte das Gefühl, irgend etwas sehr Wichtiges vergessen zu haben. Naso … Alles war so unklar. Sein Kopf dröhnte, sein ganzer Körper schmerzte. Er sah zu dem Mädchen auf, das vor ihm im Mondlicht stand. Ihre Haut war milchweiß, das dunkle Haar verschmolz mit der Nacht. War sie es wirklich, das Mädchen vom Marktplatz?
Andreas’ Verwirrung vertiefte sich. Er hatte geträumt; wirre Träume, die ineinander geflossen waren. Was hatten sie zu bedeuten? Eine ägyptische Heilkundige mit kühlen, sanften Händen; Naso und ein Teller voll Würste; ein Korb mit Bilsenkraut. Was hatte das alles zu bedeuten?
Das Mädchen kam näher und kniete neben ihm nieder. Sie hatte eine melodische Stimme. »Hast du mich gesucht?«
Andreas schien, er hätte das getan. »Ja …«
»Dann hast du mich jetzt gefunden.« Sie lächelte.
Andreas faßte flüchtig ihre Hand und ließ sich seufzend wieder niedersinken. Nein, da stimmte etwas nicht. Aber er war unfähig zu denken. Er fühlte sich ungeheuer schwach. Malachus! Wo war Malachus? Und dieses Mädchen, das behauptete, die andere zu sein – er erkannte jetzt ganz klar, daß sie nicht das Mädchen vom Marktplatz war. Seine Lider wurden schwer. Noch einmal seufzte er auf, dann fiel er in wohltuenden Schlaf.
Einige Zeit später stand Zoë am Fenster und sah über die Dächer der Häuser und den silbern schimmernden Fluß in die Nacht hinaus. Als sie dem Fremden gesagt hatte, sie wäre das Mädchen vom Marktplatz, hatte der sie lange angesehen, mit einem Blick in den Augen, der sie deutlich bat, ihm die Wahrheit zu sagen. Und jetzt schlief er, friedlicher als zuvor, wie es Zoë schien, und sie war allein und fühlte sich kalt und leer in ihrer Einsamkeit.
Sie war nicht weniger verwirrt als es der Fremde gewesen war. Hier war ein Mann, wie sie noch keinem begegnet war. Sie hatte sich für eine gehalten, die die Männer kannte und fähig war, ihre Gedanken, Listen und Geheimnisse zu durchschauen. Aber Andreas paßte in keine der Kategorien, in die sie die Männer einzuordnen pflegte, seit sie im Alter von zehn Jahren das erste Mal ihren Körper verkauft hatte. Am tiefsten beeindruckt hatte sie die Kraft seiner Zärtlichkeit. Als er ihre Hand genommen und flüchtig gehalten hatte, war es wie ein Blitz durch sie hindurchgefahren. Die zarte Berührung hatte sie tiefer getroffen als irgend etwas je zuvor. Zoë, die von Männern nur Gewalt und Dominanz kannte, konnte die Sanftmut und das Vertrauen, mit denen der Fremde sich ihr ausgeliefert hatte, nicht mit ihrem Männerbild in Einklang bringen. Sie hatte seinen Blick, der offen seinen Schmerz und seine Hilflosigkeit zeigte, nicht aushalten können und sich abwenden müssen.
Als sie jetzt vom Fenster wegtrat und zu ihm hinuntersah, überschwemmte sie plötzlich eine Woge warmer Fürsorglichkeit und heißen Begehrens. Es war das erstemal, seit Jahren des Abscheus und des Ekels, daß sie Begehren nach einem Mann verspürte. Plötzlich galt ihre Sehnsucht nicht mehr dem Häuschen in Sizilien, sondern diesem Mann. Die Vorstellung von Freiheit und Wohlstand, die sie noch vor kurzem genährt hatte, wurde verdrängt vom Bild dieses Mannes, von der Vorstellung, über seine Dankbarkeit seine Liebe zu gewinnen. Zoë, die Dirne, die gerade erst träumen gelernt hatte, sah nun in ihrer Naivität ein langes, glückliches Leben an der Seite dieses sanftmütigen Fremden vor sich.
Sie wußte, was sie tun würde. Sie würde
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