Seelenfeuer
Anordnung der Kaiserin verhaftet worden.«
»Andreas, ich verstehe das nicht«, sagte Selene, als sie wieder auf der geschäftigen Straße standen. »Warum läßt Agrippina Paulina unter Beschuldigungen verhaften, von denen sie wissen muß, daß sie falsch sind?«
Andreas blickte mit zusammengekniffenen Augen in die untergehende Sonne. »Geh du zu Paulina. Sag ihr, wir werden dafür sorgen, daß sie augenblicklich wieder freigelassen wird.«
»Und wohin gehst du?«
»Zu Claudius. Ich habe den Verdacht, daß er von der Geschichte keine Ahnung hat. Er wird einen Freilassungsbefehl für sie ausstellen.«
Selene eilte zum Circus Maximus. Dort mußte sie sich mit mehreren Beamten und Wächtern auseinandersetzen, ehe ihr gestattet wurde, Paulina aufzusuchen.
Die Freundin war allein in einer Zelle. Sie trat zum Gitterfenster in der schweren Tür, als sie Selene erblickte.
»Paulina«, sagte Selene, die Gitterstäbe umfassend. »Wir haben es gerade erst gehört. Andreas ist jetzt beim Kaiser.«
Paulinas Gesicht war bleich, doch selbst in dieser verzweifelten Lage hatte sie die Würde und die Haltung, die von einer adligen Römerin gefordert wurden, nicht verloren. Sie wirkte ruhig und gefaßt neben den schreienden und schimpfenden Gefangenen rundherum.
»Es ging so schnell«, sagte sie, und ihre Stimme zitterte leise. »Plötzlich waren die Prätorianer im Haus, präsentierten mir den Haftbefehl und führten mich ab. Ich konnte gerade noch einen Sklaven bitten, euch Bescheid zu geben.«
Selene blickte in Paulinas schöne topasfarbene Augen und sah die Furcht in ihnen.
»Aber warum hat man dich verhaftet?« fragte sie. »Wer beschuldigt dich?«
»Das weiß ich nicht. Man führte mich zur Kaiserin, und sie legte mir einige Schriftrollen vor, Erklärungen von Leuten, die bezeugten, daß ich mich des Verrats schuldig gemacht hätte, sagte sie.«
»Fälschungen!«
Paulina preßte die Lippen zusammen. »Agrippina hat zweifellos meine Freunde mit Bestechung oder Drohungen genötigt, Meineide zu schwören. Man gesteht mir nicht einmal eine Gerichtsverhandlung zu. Ich soll morgen – sterben. In der Arena.«
Selene starrte die Freundin ungläubig an. Sie kam sich vor wie in einem bösen Traum gefangen. Gleich würde sie im hellen, klaren Sonnenlicht erwachen. Und die Geräusche, die sie von allen Seiten hörte – das Schluchzen, das verzweifelte Flehen hinter den Türen der anderen Zellen –, existierten auch nur in diesem Alptraum.
»Aber hat sie dir nicht gesagt,
warum,
Paulina? Sie muß doch etwas von dir gewollt haben, wenn sie dich extra zu sich bringen ließ. Was hat sie gesagt?«
Paulinas Lippen bebten. Sie mußte die Stimme senken, um sie besser beherrschen zu können. »Sie stellte nur eine Forderung.«
»Und?«
»Ich solle dich überreden, deine Behauptung, eine Nachkommin Julius Cäsars zu sein, zurückzunehmen.«
Hoch in der Mauer von Paulinas Zelle war ein einziges kleines Fenster, durch das jetzt die glühenden Farben des zur Neige gehenden Tages zu sehen waren. Ein sonderbarer Geruch wehte durch die Öffnung herein, nach schwelendem Holz und heißem Stein, und aus der Ferne waren die Stimmen von Menschen zu hören, die ›Feuer‹ riefen.
Selene starrte auf den Streifen kupferfarbenen Sonnenlichts, der auf dem Steinboden lag und langsam schmäler wurde. Sie atmete den schwachen Brandgeruch und lauschte den fernen Rufen der
cohortes vigilum,
der römischen Feuerwehr; sie sah sie vor sich mit ihren Eimern und Lederschläuchen und primitiven Handpumpen. Sie hatte sie oft bei der Arbeit gesehen, tapfere Freiwillige, die die Flammen so erbittert bekämpften wie eine einfallende Armee. Plötzlich ausbrechende Brände waren, besonders im Sommer, eine gefährliche Bedrohung für die Stadt.
»Ich verstehe«, sagte Selene schließlich. In diesem kurzen Augenblick hatte sie wirklich verstanden. Paulinas Worte hatten alles erklärt: den bösen Zauber im Domus, Julius’ unerklärliche Erkrankung, als sie ihn Marcella überlassen hatte, Marcellas Selbstmord. Hinter allem stand die Kaiserin. Sie bildete sich ein, Selene hätte die Absicht, ihr und ihrem Sohn den Thron streitig zu machen.
Mich selber wagt sie nicht anzurühren, dachte Selene. Aber sie kann mich durch meine Familie und meine Freunde treffen.
»Und wie soll ich das bewerkstelligen?« fragte Selene.
»Du sollst vor aller Öffentlichkeit erklären«, antwortete Paulina leise, »daß du gelogen hast. Daß du in Wirklichkeit nicht mit Julius
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