Seelenfeuer
Rest des Geldes. Komm nicht wieder in den Palast.«
Der Mann kniff argwöhnisch die Augen zusammen. Konnte er sich darauf verlassen, daß Kazlah nicht nachher behaupten würde, keines der Mädchen wäre unberührt gewesen? Seinem Befehl gemäß hatte er blitzartig zuschlagen und mit den geraubten Mädchen verschwinden sollen, ehe die Polizei von dem Überfall Wind bekommen konnte. Aber er hatte der Versuchung nicht widerstehen können und einen, wie er meinte, höchst ungewöhnlichen Schatz mitgenommen.
»Herr«, sagte er, während er den Beutel mit dem Gold vom Boden aufhob, »vielleicht kann ich dich für eine Ware anderer Art interessieren.«
Kazlah sah den Mann mit Verachtung an. Überfälle auf schutzlose Frauen waren nicht die schlimmsten Taten des Palmyrenen; es war bekannt, daß er mit Kindern handelte, mit Knaben im besonderen. Kazlah hätte am liebsten nichts mit ihm zu tun gehabt, doch Königin Lasha hatte darauf bestanden, daß er die unerfreuliche Angelegenheit persönlich in die Hand nahm.
»Unser Geschäft ist abgeschlossen. Verschwinde.«
»Ich würde dir gern etwas Ungewöhnliches zeigen – wirklich hochinteressant.«
»Wenn du nicht auf der Stelle verschwindest, lasse ich dich hinauswerfen, und dann wirst du den Rest deines Geldes nie zu sehen bekommen.«
Der Mann drehte sich um, zog die Tür auf und winkte einem Trupp Männer, der draußen wartete. Dann wandte er sich, einen großen Fellsack hinter sich her ziehend, wieder Kazlah zu.
Der Leibarzt war irritiert. »Was ist das?«
»Wenn du es dir ansehen möchtest?« Der Palmyrene schleifte den Sack in die Mitte des Raumes, löste den Strick, griff vorsichtig hinein und zog einen rechteckigen Kasten heraus, der aus Ebenholz gezimmert und mit Elfenbeinintarsien verziert war.
Kazlahs Neugier war geweckt.
Der Palmyrene stellte den Kasten auf einen Tisch, hob den Deckel und beobachtete scharf das Gesicht des Arztes.
»Es ist ein Medizinkasten«, bemerkte er. »Siehst du? Er gehörte offensichtlich einem wohlhabenden und kenntnisreichen Arzt.«
Kazlah musterte die Reihen kleiner Behälter, die frischen Papyrusrollen, den Mörser mit dem Stößel, die kleinen Schubfächer, die säuberlich in ägyptischen Hieroglyphen beschriftet waren, das Nahtmaterial, die Beinnadeln. Der Eigentümer dieses Kastens konnte nur ein hochgelehrter Arzt gewesen sein.
»Woher hast du das?« fragte Kazlah schließlich.
»Das habe ich bei dem Überfall auf der Straße von Antiochien gefunden. Die Reisegruppe bestand aus einem alten Römer und einem Gefolge von Sklaven. Er war zweifellos Arzt und wollte sich wahrscheinlich in Palmyra niederlassen.«
Kazlah nickte. In Palmyra gab es mehr Ärzte als in jeder anderen Stadt der Welt, mehr selbst als in Rom. Der alte Römer wäre dort nur einer von vielen Fischen in einem überfüllten Teich gewesen, aber gewiß kein kleiner Fisch.
Kazlah streckte einen langen, schmalen Finger aus und berührte, wie gebannt von den Möglichkeiten, die sich hier eröffneten, jeden einzelnen Gegenstand, den der Kasten enthielt: einen durchsichtigen Stein, einen Schwefelbrocken, eine kleine Figurine der Isis. Dieser Kasten enthielt, das sah Kazlah klar, den gesammelten Schatz jahrelangen Lernens und Wirkens.
Er nahm einen der kleinen Behälter heraus, zog den Stöpsel und schnüffelte an der Öffnung. Die Substanz, die das Fläschchen enthielt, war ihm unbekannt. Sehr behutsam stellte er den Behälter wieder an seinen Platz und betrachtete nachdenklich den Kasten. Eindeutig hatte er einem Arzt gehört, der seine Ausbildung in Ägypten erhalten hatte; nirgends auf der Welt gab es bessere Ärzte als die in Alexandria ausgebildeten.
Neid regte sich in ihm – Neid auf den Mann, dem dieser Kasten gehört hatte; auf seine Ausbildung, die er vielleicht in der Tat an der berühmten Schule in Alexandria erhalten hatte. Kazlah selber war nie in den Genuß einer solchen Ausbildung gekommen. Was er an medizinischen Kenntnissen besaß, hatte er sich erkämpft, erstohlen, mit List und Tücke zu eigen gemacht. Als junger Neuling im Palast hatte Kazlah gesehen, welche Macht der Leibarzt dort besaß, Macht selbst über König und Königin, die Krankheit und Schmerz ebenso preisgegeben waren wie der niedrigste ihrer Untertanen. Die Grundlagen seiner medizinischen Kenntnisse hatte er vom alten Malal erhalten; danach hatte er seine Kenntnisse und Theorien an den Mitgliedern des Hofes ausprobiert. Dieser Medizinkasten kündete von einem Mann, der all
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