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Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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schützen. Sie war unberührt; sie würde mit den anderen in den königlichen Harem gebracht werden.
    »Was ist das?« fragte der Mann plötzlich und hielt den bandagierten Arm des immer noch weinenden Mädchens hoch. »Wer hat das getan?« fragte er scharf.
    Niemand rührte sich.
    Dann warf das Mädchen unwillkürlich einen Blick auf Selene, und der dunkle Mann wandte sich ihr zu. »Hast du das gemacht?« fragte er.
    Selene öffnete den Mund, konnte aber keinen Ton hervorbringen.
    Er winkte einem der Wächter, der sofort auf Selene zuging.
    »Ja«, sagte sie plötzlich. »Ja, das habe ich getan.«
    »Warum?«
    »Es – sie – sie hat –«
    »Rede, Mädchen!«
    Selene hatte Mühe, die Worte herauszubringen. »Sie hat geblutet.«
    »Auf dem Verband ist Honig«, stellte der Mann fest und sah zu den mit Haferschleim, Feigen und Honig gefüllten Schalen auf dem Tisch hinüber – den Speisen, die dazu gedacht waren, die Gefangenen zu stärken. »Warum hast du Honig auf die Wunde gegeben?«
    Selene schluckte und betete zu Isis, daß sie ihr die Herrschaft über ihre Zunge geben möge. »Ho-honig bannt die bösen Geister der Entzündung.«
    In den Augen, die sie anstarrten, war eine Kälte, daß es Selene fröstelte. Er ließ den Arm der Verwundeten los und ging zu Selene. Die anderen Mädchen beobachteten ihn stumm vor Angst.
    »Woher weißt du das?« fragte er barsch, als er vor ihr stand.
    Selene schreckte zurück. »Mei-mei-«
    »Rede!«
    »Meine Mutter war eine Heilkundige«, antwortete sie. »Sie hat mich gelehrt.«
    Ein Ausdruck der Nachdenklichkeit trat in die kalten Augen. Eine Spur weniger barsch fragte der Mann: »Deine Mutter war eine Heilkundige? War sie mit dir auf der Reise?«
    Selene nickte.
    »Ihr wart in der Gesellschaft eines Römers auf der Straße von Antiochien. War er Arzt?«
    »Nein.«
    Kazlahs schmaler Mund zuckte. Er dachte an den Medizinkasten mit seinem geheimnisvollen Inhalt, den er in seinen Gemächern verborgen hatte.
    »Beweise mir, daß deine Mutter dich die Heilkunst gelehrt hat. Sage mir zum Beispiel, wie man Fieber bei einem Kind senken kann.«
    »Da gibt es viele Mittel. Man kann das Kind in sehr kaltem Wasser baden, oder seinen Körper mit Gerstenalkohol einreiben –«
    »Und wenn das nichts hilft?«
    Selene schluckte wieder. Bei jedem Atemzug durchzuckte ein heißer Schmerz ihren Brustkorb. Sie fühlte sich matt und schwach und fürchtete, jeden Moment ohnmächtig zu werden.
    »Dann gibt es noch den Trank der Hekate«, flüsterte sie.
    »Und was ist das?«
    »Ein Tee. Meine Mutter macht ihn. Meine Mutter –« Sie schluchzte laut auf.
    »Rede!«
    Selene fing an zu weinen. Ihr schmaler Körper zitterte. »Meine Mutter ist tot«, sagte sie leise. Dann schlug sie die Hände vor ihr Gesicht und weinte.
    Kazlah betrachtete sie mit einem dünnen Lächeln. Trank der Hekate, hatte sie gesagt.

19
    Kazlah suchte in dem wohlgeordneten Medizinkasten und fand ein blaues Fläschchen mit dem Krötenzeichen der Hekate darauf.
    Er probierte das Mittel zuerst an einem zum Tode Verurteilten aus, der auf seine Hinrichtung wartete. Als sich bei dem Mann nach dem Genuß einiger Tropfen des bitteren Tranks keinerlei Anzeichen einer schädlichen Wirkung zeigten, flößte Kazlah die Medizin einem Sklaven ein, der an einem gewöhnlichen Sommerfieber litt. Als das Fieber daraufhin verschwand, beschloß der Leibarzt, den Prinzen mit dem Mittel zu behandeln.
    Die Stunde war spät, und im Schlafgemach des jungen Prinzen drängten sich die stummen Zuschauer. Allats Priesterinnen schwangen Weihrauchgefäße, die den Raum in würzige Wolken hüllten, und beschworen zum Klirren von Tambourins die vielen Namen der Göttin. Und Königin Lasha saß am Bett ihres Sohnes, mit ihrem einen gesunden Auge jede Bewegung Kazlahs verfolgend.
    Er trug ein Leopardenfell über der Schulter. Das schwarze Haar schmiegte sich glatt und glänzend an den schmalen Schädel. Reglos, als wäre er in Trance, saß er über den fiebernden Prinzen gebeugt, starr das Auge, flach und kaum wahrnehmbar sein Atem.
    Aus der Dunkelheit jenseits der mit spinnwebfeinem Stoff verhangenen Fenster kamen die Schreie der Nachtvögel. Der polierte Fußboden schimmerte von Sternenschein. Über den Kronen der Palmen war Allats schmale Sichel zu sehen. Und in der Nachtluft, die von einem leisen Wind bewegt wurde, hing der sumpfige Geruch des fruchtbringenden Euphrat.
    Die erste Dosis der geheimnisvollen Medizin war dem Prinzen bei Abenddämmerung

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