Seelenflüstern (German Edition)
seine Bitte nicht erfüllen konntest.«
Race zuckte mit den Schultern. »Okay. Aber mach bitte keine Szene. Er ist stolz auf das, was er im Lauf seiner Leben erreicht hat und auf seinen guten Ruf.«
»Ich auch. Deshalb muss ich ja hin. Warte auf mich. Ich bin gleich fertig.«
Eilig putzte ich mir die Zähne und versuchte, mein Haar zu bürsten. Doch es klebte immer noch Blut darin. Aldens Blut. Zehn Uhr achtundzwanzig. Ich stellte mich unter die Dusche und wusch mir das Haar. Aldens Blut färbte das Wasser pink. Zeit zum Weinen hatte ich jetzt nicht.
Rasch schlüpfte ich in eine hellbraune Hose und einen cremefarbenen Rolli. Die Kette mit dem Rosenanhänger trug ich darüber. Ihr Anblick im Spiegel gab mir Kraft.
Mit ein bisschen Schminkzeug und Aldens Handy in der Handtasche rannte ich schließlich die Treppe hinunter.
Race starrte stur auf die Straße und behielt seine Gedanken für sich. Dass er mit meinem Entschluss, mich einzumischen, nicht einverstanden war, war ihm deutlich anzumerken. Aber im Augenblick konnte ich darauf keine Rücksicht nehmen.
Anscheinend hatte sich alles gegen mich verschworen:Erst hielt uns eine Baustelle auf der I-45 auf, und dann gab es kurz vor dem Fahrdamm zur Insel einen Auffahrunfall. Elf Uhr fünfundvierzig. Ich vergrub das Gesicht in den Händen und betete. Auf keinen Fall würden wir es noch rechtzeitig schaffen.
In der luxuriösen Lobby des Galvez Hotels wartete ein Wächter namens Paul auf uns. Er sagte, er hätte gespürt, dass ich komme, und die Anhörung hätte bereits begonnen.
Paul war kleiner als Race, er konnte höchstens siebzehn oder achtzehn sein. Sein braunes Haar war akkurat geschnitten. Die altmodische Frisur passte zu seinem grauen Anzug samt Krawatte. Wir folgten Paul an der Empfangstheke vorbei und stiegen dann eine Marmortreppe hinunter. An ihrem Ende lag eine verschlossene Tür. Davor stand ein kleiner Schreibtisch mit einem Überwachungsmonitor.
»Bitte setzen Sie sich hierhin. Ich sage Bescheid, dass Sie da sind«, sagte Paul.
Sobald sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, stürzten Race und ich zum Monitor. Er zeigte einen schlauchartigen Konferenzraum, der von einem langen Holztisch fast ausgefüllt war. Die Tischfläche war auf Hochglanz poliert und reflektierte die Lichter darüber wie ein Spiegel. Alden saß auf einem Stuhl am Ende des Tisches. Auf der anderen Seite saßen drei Leute – zwei Männer und eine Frau. Alle trugen triste graue Anzüge.
Die Frau sprach zuerst. »Vielen Dank, dass Sie pünktlich erschienen sind, Wächter 438. Sie wissen, warum wir hier sitzen.«
»Selbstverständlich«, antwortete Alden.
Race drehte die Lautstärke am Monitor hoch. »Diese Frau ist knallhart. Sie ist bei jeder Anhörung dabei, wennauch noch nicht lange. Das ist erst ihr zweiter Zyklus auf diesem Posten.«
Ihr gegenüber saß ein kleiner Mann mit Halbglatze. Er räusperte sich, dann sagte er: »Ich nehme an, Sie haben zu Ihrer Verteidigung nichts vorzubringen.«
»Diesen Seelenflüsterer habe ich noch nie gesehen«, sagte Race.
»Ich habe getan, was ich tun musste«, antwortete Alden.
»Sie haben wissentlich eine Grundregel gebrochen und sind in den Körper eines Normalsterblichen eingedrungen?«, fragte der Mann.
Alden sah ihm direkt in die Augen. »Ja.«
Die Frau rutschte auf ihrem Stuhl herum. Sie sah aus, als wäre ihr unbehaglich zumute. »Wächter 438, war Ihnen zur Zeit dieses Vergehens bewusst, welche Strafe darauf steht?«
»Ja.«
Der alte Mann am Kopfende trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte und sah Alden zum ersten Mal an. Er kam mir bekannt vor – ich wusste aber nicht, woher. Und warum verteidigte Alden sich nicht? Hatte er bereits aufgegeben?
Er vielleicht. Ich aber nicht.
»Hey«, sagte Race. »Der alte Knochen da ist Seelenflüsterer 14. Ich glaube, er ist der dienstälteste Seelenflüsterer der USA und leitet den Laden hier unten in unserer Region. Anscheinend ist Aldens Fall für den RF eine große Sache. Sonst wäre der Alte nicht hier.«
Der Halbglatzenmann neben Seelenflüsterer 14 machte sich ein paar Notizen, dann wendete er sich wieder an Alden. »Haben Sie noch etwas zu sagen, bevor wir zu unserem Urteil kommen?«
Alden beugte sich vor. »Nehmen Sie bitte ins Protokoll auf, dass ich das tat, was ich für am besten geeignet hielt, um das Leben meiner Seelenflüsterin zu schützen. Ich bereue meine Entscheidung nicht und würde unter denselben Umständen alles noch einmal so machen.«
Der alte
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