Seelenflüstern (German Edition)
eigentlichen Aufgabe abgelenkt. Und was noch schlimmer gewesen wäre: Auch ihre Leistungen hätten darunter gelitten. Ich habe versprochen, sie bestimmen zu lassen. Dich bestimmen zu lassen.« Er fuhr meine Lippen mit dem Finger nach. »Es steht sehr viel auf dem Spiel, Lilian. Wenn du in Ruhe darüber nachgedacht hast, wirst du Rose verstehen.«
»Warum hast du mir das gerade jetzt gezeigt?«
»Weil du mich vorhin angemacht hast. Weil du … mich ganz verrückt machst.«
»Und was soll daran falsch sein?«
Er nahm mein Gesicht zwischen die Hände. »Ich habe viele Leben voller Erinnerungen, die dir fehlen. Ich weiß mehr über dich als du selbst. Das verschafft mir dir gegenüber einen unfairen Vorteil, und ich versuche, das auszugleichen. Die Regeln verlangen, dass ich die Anweisungen der Seelenflüsterin befolge. Aber führen musst du. Deshalb ist es wichtig, dass du weißt, wohin du unterwegs bist, Lilian. Und die Erinnerungen helfen dir. Denn sie zeigen dir, woher du kommst.«
Er zog mich an sich, und ich schlang die Arme um seine Taille und hielt mich an ihm fest – froh, endlich zu bekommen, was ich mir so wünschte. Alles andere war mir im Augenblick egal.
Doch schon nach einem kurzen Moment warf Alden einen Blick auf die Uhr. »Wir haben nicht viel Zeit. Der Einbruch muss so schnell wie möglich erledigt werden.«
»Welcher Einbruch?«
»Eine andere Möglichkeit gibt es wahrscheinlich nicht.« Er stopfte die Straßenkarte und die Adressen in seine Hosentasche. »Keine Sorge, Lilian. Erst mal schauen wir uns alles ganz genau an. Du bleibst mit meinem Körper im Wagen, ich gehe alleine rein.«
»Du willst ohne deinen Körper in dieses Haus?« Wie erstarrt blieb ich oben an der Treppe stehen. Er kam zu mir zurück und zog mich an der Hand hinter sich her.
»Ja, Lilian. Georgias Schwester wird gar nicht merken, dass ich da bin. Ich bin dann wie eine von den Seelen, die die Erde nicht verlassen können – nur nicht tot. Und nun klapp den Mund wieder zu. Wir müssen los. Ruf Georgia. Wir brauchen sie jetzt.«
Fassungslos starrte ich Aldens Körper an. Ein Teil seiner Seele war irgendwo dort draußen. Sie drang in ein Haus ein, um eine gestohlene Halskette zu klauen. Verrückt. Seit einer Viertelstunde wartete ich nun hier. Sein Körper saß angeschnallt auf dem Beifahrersitz. Falls etwas Unvorhergesehenes passierte, sollte ich zu ihm nach Hause fahren, mit seinem Handy den RF anrufen und melden, dass Seelenflüsterin 102 und Wächter 438 ein Problem hatten.
Wir parkten in einer Sackgasse. Karen Black wohnte vier Häuser von der nächsten Kreuzung entfernt. Alden hatte den Wagen ein Stück weiter auf der anderen Straßenseite abgestellt und die Fenster einen Spaltbreit offen gelassen. Dass meine Hände so furchtbar zitterten, schob ich auf die kühle Nachtluft. Im Handschuhfach lag nur die Betriebsanleitung des Wagens aber kein Stück Papier, das ich falten konnte. Ich klemmte die Hände zwischen die Knie. Verdammt. Warum dauerte das bloß so lange?
Mit einem Keuchen erwachte Aldens Körper plötzlich zum Leben. Seine Seele war zurück. »Ich habe den Code der Alarmanlage und weiß, wo die Halskette ist.« Er strahlte vor Stolz. »Und außerdem haben wir Glück. In einer halben Stunde geht sie zum Einkaufen. Nur für den Fall, dass wir das Ding klauen müssen.«
»Wie bitte? Was?«, fragte ich. »Wo ist die Kette?«
»In einer Schublade mit einem doppelten Boden.«
»Und warum hast du sie nicht gleich mitgebracht?«
Alden runzelte die Stirn. »Ohne Hände ist das ziemlich schwierig.«
Das war die Ernennung zur lebenslangen Vorsitzenden des Doofen-Klubs. »Pfff.«
»Ja, genau.« Er wuschelte mir durchs Haar. »Sehen wir erst mal, ob sie die Kette freiwillig herausgibt. Einbrechen können wir dann immer noch.«
Das ganze Abenteuer hatte mir besser gefallen, solange Geister-Alden sich um die kniffligen Angelegenheiten gekümmert hatte. »Wenn du meinst. Glaubst du, sie gibt uns das Ding einfach so?«
Er zuckte mit den Schultern. »Kommt ganz darauf an, wie genervt sie inzwischen von Georgias Spukerei ist.«
Und wenn die Frau eine Schusswaffe hatte? Ich griff nach Aldens Hand und bekam sofort eine Dosis Beruhigung verpasst. Der letzte Rest meiner Angst verflog, als eine zierliche ältere Dame die Tür öffnete. Sie trug einen mit gelben und pinkfarbenen Blumen bedruckten Hausmantel und hatte eine Frisur, die zum größten Teil aus Haarspray bestand. Die Augen hinter den riesenhaften
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