Seelengesaenge
verbrennen! Dann könntet ihr beiden Süßen zu mir kommen und hier in Sicherheit leben. Wäre das nicht wundervoll, meine liebe Louise?«
»Sie werden auch hierher kommen«, sagte Genevieve indigniert. »Ihr könnt sie nicht aufhalten, wißt ihr? Niemand kann sie aufhalten.«
Louise stieß sie mit der Schuhspitze und funkelte sie wütend an. Genevieve zuckte die Schultern und machte sich über ihre Eier her.
Tante Celina erbleichte theatralisch und fuchtelte sich mit dem Taschentuch vor dem Gesicht herum. »Also wirklich, meine Liebe! Wie kannst du nur so etwas Schreckliches sagen! Oh, deine Mutter hätte die Hauptstadt nicht verlassen dürfen! Nur hier in Norwich werden junge Frauen vernünftig erzogen.«
»Es tut mir leid, Tante Celina«, sagte Louise zerknirscht. »Weder Genevieve noch ich können im Augenblick richtig denken. Nicht nach … du weißt schon.«
»Selbstverständlich. Ich verstehe. Ihr müßt beide unbedingt zu einem Arzt. Ich hätte schon letzte Nacht einen rufen sollen. Gott allein weiß, was ihr euch alles zugezogen habt, so ganz allein da draußen auf dem Land, Tag und Nacht.«
»Nein!« Ein Arzt würde ihre Schwangerschaft innerhalb kürzester Zeit bemerken. Und der Himmel allein wußte, wie Tante Celina auf diese Neuigkeit reagieren würde. »Danke, Tante, aber das ist wirklich nicht nötig. Ein paar Tage Ruhe reichen vollkommen aus. Ich hatte überlegt, daß wir vielleicht eine Besichtigungstour durch Norwich unternehmen könnten, wo wir doch jetzt schon einmal hier sind. Das wäre einfach wunderbar.« Sie lächelte gewinnend. »Bitte, bitte, Tante Celina.«
»O ja! Bitte, Tante, dürfen wir?« schloß sich Genevieve begeistert an.
»Ich weiß nicht«, entgegnete Tante Celina. »Jetzt ist wohl kaum die richtige Zeit für eine Besichtigungstour. Überall macht die Miliz mobil. Und ich habe Hermione versprochen, daß ich heute zur Versammlung des Roten Kreuzes gehen würde. Man muß schließlich tun, was man kann, um unsere tapferen Männer in diesen Zeiten zu unterstützen. Ich habe wirklich nicht genug freie Zeit, um mit euch durch Norwich zu wandern.«
»Ich könnte es!« sagte Roberto. »Und es wäre mir wirklich ein Vergnügen.« Seine Augen ruhten schon wieder verlangend auf Louise.
»Sei nicht albern, mein Liebling«, sagte Tante Celina. »Du mußt zur Schule.«
»Fletcher Christian könnte uns begleiten«, sagte Louise rasch. »Er hat mehr als genug bewiesen, daß wir ihm vertrauen können. In seiner Gegenwart wären wir vollkommen sicher.« Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Roberto eine Grimasse schnitt.
»Nun …«
»Ach bitte, Tante Celina!« bettelte Genevieve. »Ich möchte dir unbedingt ein paar Blumen kaufen. Du warst so gut zu uns.«
Tante Celina klatschte die Hände zusammen. »Du bist ein richtiger kleiner Schatz, weißt du das? Ich wollte immer selbst ein Töchterchen wie dich haben. Selbstverständlich dürft ihr gehen.«
Louise blies dankend die Backen auf. Sie konnte sich nur zu gut vorstellen, wie ihre Mutter auf ein derartig vorgebrachtes Ansinnen reagiert hätte. Genevieve hatte sich wieder ihrem Frühstück zugewandt, und ihr Gesicht war ein einziger Ausdruck der Unschuld. Am gegenüberliegenden Ende des Tisches saß Roberto und kaute nachdenklich an seiner dritten Scheibe Toast.
Die beiden Schwestern fanden Fletcher Christian in den Dienstbotenquartieren. Da so viele Angestellte des Hauspersonals zum Dienst bei der Miliz fortgerufen worden waren, hatte der Koch ihn dazu eingeteilt, Säcke aus den Lagerräumen nach oben zu schleppen.
Fletcher musterte die beiden Kinder mit einem gemessenen Blick, während er einen schweren Sack voller Karotten auf dem Küchenboden abstellte, und verbeugte sich anschließend höflich. »Wie wunderbar Ihr ausseht, junge Damen! Wie neu geboren! Ich wußte von Anfang an, daß solche Kleider besser zu euch passen würden als die alten.«
Louise blickte ihn strafend an … und beide mußten grinsen.
»Tante Celina hat uns erlaubt, eine Kutsche zu nehmen«, sagte sie in ihrem vornehmsten Tonfall. »Und Sie hat Ihnen frei gegeben, damit Sie uns begleiten können, mein guter Mann. Selbstverständlich, wenn Sie vorziehen hierzubleiben und weiter das zu tun, was Sie allem Anschein nach so gut können …?«
»Ah, Mylady Louise«, antwortete er. »Wie grausam Ihr doch sein könnt! Allerdings gestehe ich, daß ich diesen Spott durchaus verdiene. Es wäre mir eine Ehre, Euch zu begleiten.«
Unter den mißbilligenden Blicken
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