Seelengesaenge
des Kochs nahm er seine Jacke auf und folgte Louise aus der Küche. Genevieve raffte ihre Rockschöße und rannte vor den beiden her durch das Haus.
»Die kleine Lady scheint unbeeindruckt von all dem, was sie durchgemacht hat«, beobachtete Fletcher.
»Ja. Gott sei Dank. War es schlimm für Sie letzte Nacht?« fragte Louise, als sie außer Hörweite der anderen Diener waren.
»Das Zimmer war trocken und warm. Ich habe schon unter schlimmeren Umständen geschlafen.«
»Es tut mir leid, daß ich Sie mit hierher gebracht habe. Ich hatte ganz vergessen, wie schlimm Tante Celina sein kann. Aber mir fiel niemand ein, der uns so schnell aus dem Büro des Aerodroms hätte befreien können.«
»Verschwendet keinen weiteren Gedanken daran, Lady Louise. Eure Tante ist ein Ausbund an Aufklärung verglichen mit einigen der Damen, die ich in meiner eigenen Jugend kannte.«
»Fletcher.« Sie legte ihre Hand auf seinen Arm und verlangsamte ihren Schritt. »Sind sie hier?«
Seine robusten Gesichtszüge nahmen einen melancholischen Ausdruck an. »Ja, Lady Louise. Ich kann einige Dutzend überall in der Stadt spüren. Ihre Zahlen wachsen mit jeder Stunde. Es wird noch Tage dauern, vielleicht auch eine Woche, aber Norwich wird ganz sicher fallen.«
»O lieber Gott, wann wird das jemals enden?«
Louise war sich seines um sie geschlungenen Arms bewußt, während sie zitternd schluchzte. Sie haßte sich dafür, daß sie so schwach war. Wo steckst du nur, Joshua? Ich brauche dich!
»Sprich nicht von dem Bösen, und es geht an dir vorüber«, sagte Fletcher leise.
»Wirklich?«
»Das hat meine Mutter stets gesagt.«
»Und hatte sie recht?«
Seine Finger berührten ihr Kinn und bogen ihr Gesicht nach oben. »Das ist schon sehr lange her und weit, weit weg. Heute denke ich, wenn wir ihre Aufmerksamkeit nicht unnötig auf uns lenken, dann bleibt Ihr bestimmt länger ungeschoren.«
»Schön. Ich habe angestrengt über diese Sache nachgedacht, wissen Sie? Wie ich Genevieve und das Baby beschützen kann. Und mir ist nur ein einziger Weg dazu eingefallen.«
»Und der wäre, Lady Louise?«
»Wir müssen Norfolk verlassen.«
»Ich verstehe.«
»Es wird bestimmt nicht leicht. Werden Sie mir helfen, Fletcher?«
»Das müßt Ihr nicht fragen, Lady Louise. Ihr wißt, daß ich alles tun werde, was in meiner Macht steht, um Euch und der kleinen Lady zu helfen.«
»Ich danke Ihnen, Fletcher. Die zweite Frage, die ich Ihnen stellen wollte: Möchten Sie mit uns kommen? Ich will versuchen, Tranquility zu erreichen. Ich kenne dort jemanden, der uns ganz bestimmt helfen wird.« Falls uns überhaupt noch jemand helfen kann, fügte sie insgeheim hinzu.
»Tranquility?«
»Ja. Das ist eine Art Palast im Weltraum, der um einen weit entfernten Stern kreist.«
»Ah, Lady, wie Ihr mich doch in Versuchung führt! Zu den Sternen zu segeln, der ich ein alter Seemann bin! Wie könnte ich da widerstehen?«
»Wunderbar!« flüsterte sie.
»Ich möchte keine Kritik üben, Lady Louise, aber wißt Ihr wirklich, wie man sich richtig auf ein solches Abenteuer vorbereitet?«
»Ich denke schon. Wenn ich nämlich eins gelernt habe von Daddy oder Joshua oder auch Carmitha, dann die Tatsache, daß mit Geld alles möglich ist.«
Fletcher lächelte respektvoll. »Ein wahrer Spruch. Und Ihr besitzt dieses Geld?«
»Ich hab’s nicht bei mir, nein, wenn Sie das meinen. Aber ich bin eine Kavanagh, ich kann es beschaffen.«
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6. Kapitel
Ione Saldanas palastartiges Appartement an der Basis der Klippe war leer bis auf sie selbst; ihre Gäste vom Zentralbankrat Tranquilitys waren höflich, aber bestimmt nach draußen geleitet worden und die gesellige Feier definitiv vorbei. Sie waren schlau genug gewesen, nicht zu argumentieren. Unglücklicherweise waren sie allerdings auch schlau genug, um zu wissen, daß sie nicht vor die Tür gesetzt worden wären, hätte es sich nicht um eine lebensbedrohliche Krise gehandelt. Die wilden Gerüchte würden inzwischen längst durch das gesamte riesige Habitat eilen.
Ione hatte die elektrophosphoreszierende Deckenbeleuchtung bis auf ein melancholisches Sternenlicht gedämpft, genug, um durch die Glaswand zu sehen, hinter der sich das Meer befand, eine stille, schweigsame Welt, die ganz und gar aus Aquamarintönen bestand. Und jetzt verblaßten sogar diese Farben, während die Lichtröhre des Habitats dunkler wurde und Nacht über die Landschaften in seinem Innern fiel. Die Fische waren nur noch undeutliche Schatten
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