Seelengesaenge
beiden Tage im Lalonde-System dreimal mit Mühe und Not dem Tod entronnen. Hätte ich nur einen einzigen Fehler begangen, nur einen einzigen, wäre ich jetzt tot. Nur, daß ich nicht wirklich tot wäre, wie wir inzwischen wissen. Ich würde im Jenseits festsitzen. Und falls Shaun Wallace die Wahrheit gesagt hat – wovon ich fest überzeugt bin – dann würde ich ununterbrochen schreien und alles tun, um wieder zurückzukommen, ganz gleich, wie hoch der Preis wäre und wer ihn bezahlen müßte.«
»Das ist ja schrecklich!«
»Ganz genau. Ich habe Warlow in den Tod geschickt. Ich denke, ich wußte es, noch bevor er aus der Luftschleuse geglitten ist. Und jetzt ist er dort draußen, oder drinnen – irgendwo, zusammen mit all den anderen Seelen. Vielleicht beobachtet er uns in diesem Augenblick und fleht verzweifelt, etwas zu empfinden. Und was mir daran zu schaffen macht – ich stehe in seiner Schuld.« Joshua ließ den Kopf zurück in die Seidenkissen fallen und starrte zur Decke hinauf. »Aber schulde ich ihm soviel? Lieber Gott im Himmel.«
»Wenn er dein Freund war, würde er dich niemals darum bitten.«
»Vielleicht.« Ione setzte sich auf und schenkte sich ein weiteres Glas Norfolk Tears ein.
– Ich werde ihn fragen, sagte sie zu Tranquility.
– Aber du bittest mich doch bestimmt nicht um meinen Segen?
– Nein. Aber ich würde deine Meinung schätzen.
– Schön. Ich denke, er besitzt die notwendigen Fähigkeiten, um die Aufgabe zu erfüllen, aber das weißt du ebensogut wie ich. Ob er der wünschenswerteste Kandidat ist, darüber zerbreche ich mir immer noch den Kopf. Ich gestehe, daß er reifer geworden ist, und er würde dich niemals wissentlich betrügen. Aber er ist ungestüm, und das spricht gegen ihn.
– Ja. Sein Ungestüm ist das, was ich am meisten an ihm mag.
– Dessen bin ich mir bewußt. Ich kann es sogar akzeptieren, wenn es um dein erstes Kind und meine Zukunft geht. Aber hast du das Recht, ein so gewagtes Spiel zu spielen, wenn es um den Alchimisten geht?
– Vielleicht nicht. Obwohl es möglicherweise einen Ausweg gibt. Und ich muß einfach etwas unternehmen, oder? »Joshua?«
»Ja. Entschuldige. Ich wollte dich nicht in mein Stimmungstief ziehen.«
»Schon gut. Ich habe im Augenblick ebenfalls ein kleines Problem.«
»Du weißt, daß ich dir helfe, wenn es in meiner Macht steht.«
»Das ist der Anfang. Ich hätte dich sowieso darum gebeten. Ich bin nicht sicher, ob ich irgend jemand anderem vertrauen könnte. Ich bin nicht einmal sicher, ob ich dir vertrauen kann.«
»Das klingt interessant.«
Sie atmete tief durch, faßte einen Entschluß und begann. »Du erinnerst dich an eine Frau namens Dr. Alkad Mzu? Sie hat dich vor ungefähr einem Jahr wegen eines möglichen Charters angesprochen.«
Er startete eine rasche Suche durch die Speicherzellen seiner neuralen Nanonik. »Ich hab’ sie. Sie war an einem Flug ins Garissa-System interessiert. Irgendeine Art von Gedenken. Es war ziemlich merkwürdig, und sie hat sich danach nie wieder gemeldet.«
»Nein. Zum Glück nicht. Dr. Alkad Mzu hat mehr als sechzig Kommandanten wegen eines ähnlichen Auftrags angesprochen.«
»Sechzig?«
»Ja. Tranquility und ich glauben, daß es ein Versuch war, die Geheimdienste zu verwirren, die sie ununterbrochen beobachtet haben.«
»Ah.« Seine Instinkte erwachten beinahe augenblicklich, begleitet von einer Woge des Bedauerns. Das war ja eine ganz große Nummer, und es bedeutete Scherereien. Fast war er froh, nicht direkt mit Ione ins Bett gesprungen zu sein wie in den alten Tagen (Mein Gott, das ist erst ein Jahr her!). Es war ein merkwürdiges Gefühl, doch er wußte einfach nicht genau, wie er sich verhalten sollte. Und er konnte spüren, wie sehr sie von seinem Laß-uns-Freunde-Sein-Verhalten verunsichert wurde.
Sex wäre so einfach gewesen, doch Joshua konnte sich nicht überwinden, es mit jemandem zu tun, den er wirklich mochte, wenn es nicht das bedeutete, was es früher bedeutet hatte. Es wäre fast Betrug gewesen. Ich kann ihr das nicht antun. Es war das erste Mal, daß er so empfand.
Ione bedachte ihn mit einem vorsichtigen, forschenden Blick. Der eine Einladung enthielt.
Ich kann immer noch damit aufhören, wenn ich es will.
Manchmal fiel es ihm leicht zu vergessen, daß diese blonde Zwanzigjährige rein technisch betrachtet eine Regierung verkörperte, nicht die Stellvertreterin, sondern den Staat selbst sowie aller damit verbundenen Geheimnisse. Geheimnisse, von denen zu
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