Seelengesaenge
Hochtechnologie angewiesen, um ihre Wirtschaft aufrechtzuerhalten. Asteroidensiedlungen wie Chaumort, deren finanzielle Lage mehr als angespannt war, trugen schwer an den Folgen der Krise, für die sie keine Verantwortung hatten. Die meisten dieser Siedlungen hatten eines gemeinsam: Sie waren abgelegen. Falls sich also ein Raumschiff mit wichtiger Fracht näherte, dann war es durchaus nicht unvorstellbar, daß dieses Schiff auch die Erlaubnis zum Andocken erhielt. Die lokale Systemversammlung konnte das nicht verhindern. Und die Fracht konnte (gegen eine gemäßigte Chartergebühr versteht sich) auf andere interplanetare Schiffe umgeladen und dazu benutzt werden, weiteren kleinen benachteiligten Siedlungen zu helfen. Der innersystemische Schiffsverkehr war schließlich nicht von den Quarantänevorschriften betroffen.
Chaumort hatte eine Marktnische entdeckt. Langsam, aber sicher etablierte es sich als Handelszentrum in einem ganz neuen Geschäft. Der Art von Geschäft, für die Raumschiffe wie die Villeneuve’s Revenge geradezu prädestiniert waren.
André hatte in den einschlägigen Bars mit Raumfahrern und einheimischen Händler gesprochen und seiner Genugtuung über den gegenwärtigen Lauf der Dinge Ausdruck verliehen und seiner Bereitschaft, Chaumort und dessen Bevölkerung in diesen schwierigen Zeiten zu Hilfe zu kommen. Kurz, er hatte dafür gesorgt, daß man ihn kannte. Es war ein Spiel, bei dem derjenige gewann, der die meisten Kontakte knüpfte, und André spielte es seit Jahrzehnten.
Aus diesem Grund saß er nun auch hier im Straßencafé und wartete auf einen Mann, den er noch nie zuvor im Leben gesehen hatte. Eine Gruppe von Teenagern eilte vorüber. Einer der Jungen schnappte einen Korb mit Brötchen von einem der Cafétische und rannte unter den anfeuernden Rufen seiner Kameraden davon, bevor der Inhaber den Diebstahl bemerken konnte. André lächelte längst nicht mehr über die unbesonnenen Streiche der Jugend. Heranwachsende waren eine verantwortungslose Bande; ein Zustand, den André lange beneidet und den sein gewählter Beruf ihm gründlich verwehrt hatte. Es schien ihm ganz und gar unfair, daß nur am Anfang des Lebens Glück existieren sollte und später nicht mehr, wenn man es zu schätzen gelernt hatte. Glück sollte etwas sein, in das jeder hineinwuchs und das er nicht weiter und weiter hinter sich ließ.
Ein bunter Farbtupfer erweckte seine Aufmerksamkeit. Alle Jugendlichen trugen rote Taschentücher um die Knöchel gewickelt. Was für eine dämliche Mode!
»Kommandant Duchamp?«
André blickte auf und sah einen Mann mittleren Alters und asiatischer Abstammung in einem schicken schwarzen Seidenanzug mit weit geschnittenen Ärmeln. Tonfall und lässige Körperhaltung deuteten auf einen geübten Unterhändler hin; zu glatt für einen Anwalt und ohne das Selbstbewußtsein, das die wirklich Reichen auszeichnete. Ein Mittelsmann.
André bemühte sich, sein breites Grinsen zu verbergen. Sie hatten den Köder also geschluckt. Jetzt ging es um den Preis.
Der nanonische Verband um Ericks linkes Bein sprang vom Schritt bis hinunter zum Knöchel auf. Es war ein Geräusch wie von zerreißendem starkem Stoff. Dr. Steibel und seine junge Assistentin befreiten Ericks Bein vorsichtig ganz von dem Verband.
»Das sieht ja gar nicht schlecht aus«, verkündete Dr. Steibel.
Madeleine grinste Erick zu und schnitt dann eine Grimasse. Das Bein war von einer dünnen Schicht schleimiger Flüssigkeit bedeckt, Rückstände des Medipacks, das sich von seiner Haut gelöst hatte. Unter dem Schleim war die Haut schneeweiß und von einem komplizierten Geflecht blau schimmernder Adern durchzogen. Die Narben von den Verbrennungen und den Vakuumverletzungen bildeten Flecken, wo die Haut dicker war.
Dann wurden die Verbände über Ericks Gesicht und Hals entfernt. Erick atmete erschrocken ein, als kalte Luft über die rohe Haut strich.
Seine Schläfen und die Stirn kribbelten noch immer, und sie waren bereits zwei Stunden zuvor freigelegt worden.
Er bemühte sich erst gar nicht, sein Bein in Augenschein zu nehmen. Warum auch? Es hätte nur Erinnerungen hervorgerufen.
»Geben Sie mir bitte Zugang zu Ihren Nervenkanälen«, verlangte Dr. Steibel. Er blickte in einen AV-Projektor und ignorierte Erick vollkommen.
Erick kam der Bitte nach und öffnete mit Hilfe seiner neuralen Nanonik einen Datenkanal direkt in das Rückenmark. Eine Reihe von Befehlen wurden per Datavis übertragen, und Ericks Bein hob sich wie
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