Seelengesaenge
Formsache.
Erick schwang die Beine vom Untersuchungstisch und ignorierte den gequälten Blick der Krankenschwester, als er ihre Sprühschläuche beiseite schob. »Tut mir leid, aber die Pflicht ruft«, sagte er. »Seien Sie doch so nett und bringen Sie mir bitte eine Hose, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.«
Der Name des Mittelsmannes lautete Iain Girardi. André beneidete ihn um seine Gemütsruhe; nichts brachte ihn aus der Fassung, keine Beleidigungen, keine Drohungen. Girardi blieb selbst in der hitzigsten Diskussion kühl und gelassen, und das war André nicht einmal unrecht. Andrés Geduld war längst erschöpft; daran trug seine undankbare Besatzung die Schuld.
Sie hatten sich in der Messe der Villeneuve’s Revenge versammelt, dem einzigen Ort, der nach Andrés Meinung sicher genug war, um über Girardis Vorschlag zu diskutieren. Madeleine und Desmond hatten ihre Schuhe auf StikPads verankert, während Erick an der zentralen Leiter hing und seine medizinischen Apparate an den Kompositstreben festgeklipst hatte. André schwebte neben Girardi und funkelte seine drei Besatzungsmitglieder wütend an.
»Das soll doch wohl nur ein verdammter Scherz sein!« brüllte Madeleine. »Diesmal bist du zu weit gegangen, Captain. Ein ganz verdammtes Stück zu weit! Wie kannst du dir das Angebot dieses Bastards auch nur anhören! Du lieber Gott im Himmel, nach allem, was wir auf Lalonde durchgemacht haben! Nach allem, was Erick für uns getan hat! Sieh dir doch dein Schiff an! Das waren sie! Das haben sie dir angetan!«
»Das ist nicht ganz richtig«, widersprach Girardi in sanftem, entschuldigendem Tonfall.
»Halten Sie verdammt noch mal die Schnauze!« fuhr Madeleine ihn an. »Ich brauche niemanden, der mir erzählt, was uns im Lalonde-System zugestoßen ist!«
»Madeleine, bitte!« sagte André. »Du bist hysterisch. Niemand zwingt dich, bei der Sache mitzumachen. Ich werde nicht auf Erfüllung deines Vertrags bestehen, wenn du nicht willst.«
»Ganz genau, ich will nicht! Und in meinem Kontrakt steht nirgendwo, daß ich für die Besessenen fliegen muß! Du zahlst mir den ausstehenden Lohn für die beiden letzten Monate plus dem Bonus für Lalonde, den du mir noch schuldest, und weg bin ich.«
»Wenn du das möchtest.«
»Hast du das Geld?«
»Oui. Aber selbstverständlich doch. Nicht, daß es dich etwas anginge.«
»Bastard! Warum hast du uns dann für Ericks Behandlung zahlen lassen?«
»Ich bin schließlich nur ein Schiffsführer. Ich habe nie behauptet, Wunder vollbringen zu können. Mein Konto wurde gerade erst wieder aufgefüllt. Selbstverständlich ist es mir ein Vergnügen, für die Behandlungskosten des lieben Erick aufzukommen. Das ist schließlich eine Ehrensache.«
»Gerade erst wieder …?« Madeleine verstummte und blickte von André zu Girardi und wieder zurück. Allmählich dämmerte es ihr, und mit dem Verstehen kam fassungslose Wut. »Du hast einen Vorschuß von ihm kassiert?«
»Oui!« giftete André zurück.
»Herr im Himmel!«
Der Schock seines Eingeständnisses brachte sie zum Schweigen.
»Sie haben Lalonde erwähnt«, ergriff Iain Girardi das Wort. »Ist Ihnen denn die Konföderierte Navy zu Hilfe gekommen, als Sie dort in der Klemme saßen?«
»Reden Sie nicht über Dinge, von denen Sie keinen Schimmer haben«, knurrte Desmond.
»So ahnungslos bin ich nun auch wieder nicht. Ich habe Kelly Tirrels Bericht gesehen. Jeder kennt ihn.«
»Und wir haben alle Gus Remars Bericht über New California gesehen. Die Besessenen haben eine ganze Welt erobert. Eigentlich müßten wir bei der Konföderierten Navy anheuern und ihr helfen, jeden einzelnen Besessenen zu jagen und auszulöschen.«
»Auszulöschen? Wie denn das? Das ist ein schreckliches Unheil, das über die Menschheit hereingebrochen ist, über beide Hälften. Atomwaffen auf die Köpfe von Millionen Unschuldiger zu werfen ist nicht gerade eine Lösung, oder? Sicher, es war das reinste Chaos im Lalonde-System, und es tut mir leid, wenn Sie mitten im schlimmsten Schlamassel gesteckt haben. Aber die Besessenen dort waren ein desorganisierter wilder Mob. Sie haben blindwütig um sich geschlagen, um sich vor der Söldnerarmee zu schützen, die Sie nach Lalonde brachten. Aber die Organisation – das ist etwas ganz anderes. Beispielsweise liefern wir den Beweis, daß Besessene und Nicht-Besessene einträchtig miteinander leben können.«
»Ja, sicher, solange Sie uns brauchen«, sagte Madeleine. »Solange Sie uns brauchen, um die
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