Seelengesaenge
zwölf oder dreizehn. »Ich bin nicht an Kinder gewöhnt.«
»Und auch nicht an Hühner, wenn man bedenkt, wie sie aussehen. Aber immerhin hast du sie am Ende gefangen, oder nicht?«
»Bist du denn sicher, daß du das willst? Ich meine, wie lange willst du dich um sie kümmern? Was geschieht, wenn sie erst groß genug sind? Werden sie alle an ihrem sechzehnten Geburtstag besessen? Das ist ein schrecklicher Gedanke!«
»Soweit kommt es nicht. Wir werden diese Welt aus dem Griff des Jenseits entführen. Wir sind die ersten und letzten Besessenen, und eine Situation wie diese wird sich nie wieder ergeben. Außerdem wollte ich überhaupt nicht vorschlagen, sie hier in Exnall großzuziehen.«
»Und wo sonst?«
»Wir bringen sie zum Rand der Mortonridge-Halbinsel und übergeben sie ihresgleichen.«
»Das ist nicht dein Ernst!« Ein sinnloser Widerspruch; er konnte die Entschlossenheit in ihren Gedanken spüren.
»Sag bloß nicht, du willst für den Rest der Ewigkeit in Exnall bleiben?«
»Nein. Aber die ersten paar Monate wären vielleicht nicht schlecht.«
»Reisen bedeutet, Erfahrungen zu sammeln. Ich will dich nicht zwingen, Moyo, aber wenn du lieber hierbleiben und lernen möchtest, wie man Kricket spielt, dann ist das in Ordnung.«
»Ich gebe auf.« Er lachte und küßte sie zärtlich. »Aber wir können nicht zu Fuß gehen, nicht den ganzen weiten Weg. Wir brauchen eine Art Bus oder Lastwagen. Ich sehe mich besser um und finde heraus, was die Eklund uns dagelassen hat.«
Es war das achte Mal, daß Syrinx zu dem merkwürdigen Haus Wing-Tsit Chongs am Ufer des Sees gewandert war.
Bei manchen dieser Treffen saßen die beiden einfach nur da und redeten, bei anderen Gelegenheiten wurden sie von Therapeuten und Ruben und Athene und Sinon begleitet, und es entwickelte sich so etwas wie eine Gruppensitzung. Doch an diesem Tag waren sie wieder nur zu zweit.
Wie immer erwartete Wing-Tsit sie in seinem Rollstuhl auf der Veranda.
Er hatte eine karierte Decke um die Beine geschlungen. – Sei gegrüßt, meine liebe Syrinx. Wie geht es dir heute?
Sie verneigte sich leicht in orientalischer Tradition, eine Angewohnheit, die sie seit dem zweiten Treffen angenommen hatte. – Sie haben mir heute morgen die nanonischen Verbände von den Füßen genommen. Ich konnte kaum gehen, so empfindlich war meine Haut.
– Ich hoffe doch, du hast den Ärzten deswegen keinen Vorwurf gemacht?
– Nein. Sie seufzte. – Sie haben wahre Wunder mit mir vollbracht. Ich bin ihnen dankbar. Und der Schmerz wird auch bald vergehen.
Wing-Tsit lächelte dünn. – Genau die Antwort, die ich erwartet hätte. Wenn ich ein mißtrauischer alter Mann wäre …
– Entschuldigung. Aber ich habe das physische Unbehagen wirklich als eine vorübergehende Unbill akzeptiert.
– Welch ein Glück! Die letzte Kette ist abgestreift!
– Ja.
– Bald wirst du wieder frei zwischen den Sternen umherstreifen. Und wirst du wieder in die alten Fesseln zurückfallen?
Syrinx erschauerte und bedachte den alten Mann mit einem tadelnden Blick, während sie sich gegen das Geländer der Veranda lehnte. – Ich glaube nicht, daß ich wieder gesund genug bin, um darüber nachzudenken.
– Doch, das bist du.
– Also schön, wenn Sie es wirklich wissen wollen … ich bezweifle stark, daß ich den schützenden Rumpf der Oenone so bereitwillig verlassen werde wie früher. Jedenfalls ganz bestimmt nicht, solange die Besessenen noch unter uns sind. Ist das etwa falsch für jemanden in meiner Situation? Habe ich versagt?
– Beantworte dir die Frage selbst.
– Ich leide immer noch hin und wieder unter Alpträumen.
– Ich weiß. Aber es geschieht nicht mehr so häufig, und wir alle wissen, daß das ein gutes Zeichen für deinen Fortschritt ist. Welche anderen Symptome sind geblieben?
– Ich möchte wieder fliegen. Aber … es ist schwierig, mich selbst zu überzeugen, es zu tun. Ich vermute, die Unsicherheit macht mir Angst. Ich könnte ihnen wieder begegnen.
– Die Unsicherheit vor dem Ungewissen?
– Sie sind ein Meister im Haarespalten.
– Sei nachsichtig mit einem alten Mann.
– Definitiv die Unsicherheit. Das Unbekannte hat mich früher immer fasziniert. Ich habe es genossen, fremde Welten zu erforschen und Wunder zu sehen.
– Verzeih mir, Syrinx, aber du hast niemals etwas Derartiges getan.
– Was? Sie drückte sich vom Geländer ab und starrte ihn an, doch sein Gesicht zeigte nur den gleichen passiven Ausdruck wie immer. – Die Oenone und
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