Seelenglanz
versichere dir, er wird dich nicht noch einmal belästigen. Du brauchst keine Angst zu haben.«
Sie starrte ihn an. Wenn sie jemals Angst gehabt hatte, war das nun vorüber. Alles, was sie noch empfand, war eine unglaubliche Leere, die sich mit jedem weiteren Atemzug mehr und mehr mit Zorn füllte. »Ob ich in Ordnung bin, willst du wissen? Ich soll keine Angst mehr haben?« Mit jedem weiteren Wort wurde sie lauter, bis sie schließlich brüllte: »Bist du noch zu retten! Du verdammter Penner hast gerade …«
»Ich habe deine Seele gerettet«, fiel er ihr ins Wort, seine Stimme noch immer erstaunlich gelassen, wenn auch nicht mehr gänzlich frei von Verärgerung. »Du undankbarer Wicht!«
Mit einem zornigen Schrei stieß sie ihn von sich, dann machte sie kehrt und lief über die Wiese davon.
7
Was war das?
Hatte der Kurze mich gerade einen verdammten Penner genannt?
Da kam ich schon mal jemandem zu Hilfe, um entgegen meiner Gewohnheit eine unsterbliche Seele zu retten, und das war der Dank? Ich hatte schon viel erlebt, aber ich hatte mich noch nie beschimpfen lassen müssen, weil ich jemandem geholfen habe.
Ich blickte über die Wiese in die Richtung, in der der Junge in der Dunkelheit verschwunden war. Der Nephilim. Noch immer konnte ich mich nicht entscheiden, ob mich sein Benehmen überraschen oder wütend machen sollte. Ganz sicher jedoch war ich alarmiert. Dass Shandraziel hinter seiner Seele her war, gefiel mir nicht. Ich konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob er wusste, was Jules war, oder ob er nur zufällig hinter dem Kerl her war, den ich über seine Abstammung aufklären sollte. Allerdings kannte ich Shandraziel gut genug, um zu wissen, dass er nur wenig dem Zufall überließ. Er interessierte sich nur für Seelen, die ihm Luzifers Anerkennung sicherten. Die des Jungen gehörte ganz sicher in diese Kategorie.
Mir war nicht entgangen, wie er heute Mittag versucht hatte seinen Boss anzupumpen und wie verzweifelt er ausgesehen hatte, als Fertucci seine Bitte abschlug. Dass seine Geldsorgen jedoch so gravierend sein sollten, dass er bereit war, dafür sogar seine Seele zu verkaufen, wunderte mich dann doch. Natürlich hatte ich die Menschen lange genug studiert, um zu wissen, dass sie zu dramatischen Handlungen und zu Übertreibungen neigten. Du meine Güte, wie viel Geld konnte er schon brauchen? Ein paar Hundert Dollar? Tausend? Sicher keine Summe, die es wert gewesen wäre, Shandraziel auch nur zu grüßen – geschweige denn ihm seine Seele zu verkaufen.
Ich konnte immer noch nicht fassen, dass der Kurze mich tatsächlich beschimpft hatte. Verdammter Penner waren nicht ganz die warmen Dankesworte, die ich angesichtsmeiner aufopferungsvollen Einmischung erwartet hatte. Meine Güte, ich hatte nur tun wollen, was Akashiel von mir verlangte. Dank Shandraziels Auftauchen war ich keinen Schritt weitergekommen.
Unter normalen Umständen hätte ich ihn gewähren lassen und wäre einfach wieder abgezogen. Ganz sicher hätte ich mich nicht in seine Geschäfte eingemischt. Wir hatten auch so schon genug Schwierigkeiten miteinander. Da ich jedoch nicht wusste, ob mich Japhael möglicherweise beobachten ließ, war mir nichts anderes übrig geblieben, als dazwischenzugehen.
Natürlich hatte ich nicht vorgehabt, Shandraziel zu verletzen, denn auch wenn die Aussicht, ihn in den Arsch zu treten, verlockend war, arbeiteten wir noch immer für dieselbe Seite. Mein Angriff war nichts weiter als ein Schauspiel gewesen. Eine vorgetäuschte Attacke mit dem Ziel, ihn weit genug von dem Nephilim fortzubringen, um ihm unbemerkt etwas ins Ohr zu raunen. Mein Schwert hatte ich lediglich für das mögliche Engelspublikum in meiner Hand erscheinen lassen. Abgesehen davon, dass die Waffe aus glitzerndem Eis einen beeindruckenden Anblick bot, war sie in erster Linie dazu gedacht, mögliche Beobachter davon abzulenken, dass ich Shandraziel einen Atemzug zuvor zugeflüstert hatte, er solle verschwinden.
»Tu so, als hätte ich dich in die Flucht geschlagen«, raunte ich und holte mit dem Schwert aus. Shandraziel war anzusehen gewesen, wie er mit sich rang. Zweifelsohne wäre es ihm ein Vergnügen gewesen, eine Waffe in seine Hand zu rufen und sich mit mir anzulegen.
»Spiel mit«, zischte ich und setzte zum Schlag an, nicht wissend, ob ich mich gleich in einer Auseinandersetzung wiederfinden würde, die ich nicht gesucht hatte. Zu meiner Erleichterung – und auch ein wenig zu meiner Überraschung– ließ er sich auf meine
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