Seelenglanz
mochte ein Spinner sein, womöglich war er sogar gefährlich, aber er war sicher kein Diener der Hölle.
Er stand immer noch zu nah, als dass sie einen Fluchtversuch hätte wagen können. Vielleicht war es auch gar nichtnötig davonzulaufen. Es war nicht ausgeschlossen, dass er sich damit zufriedengab, wenn sie zum Schein auf sein Angebot einging, und er sie nach »Abschluss ihres Geschäftes« abziehen ließ.
Und wenn er es ernst meinte? Wenn er wirklich tun konnte, was er versprach, und sie tatsächlich ihre Seele verpfändete? Nachdem sie bisher nie etwas von der Existenz einer Seele bemerkt hatte, würde es ihr vermutlich gar nicht auffallen, wenn jemand das Ding nahm – sofern es sie überhaupt gab.
Du meine Güte, sie musste wirklich den Schalter finden, mit dem sie diesen Zynismus abstellen konnte, der sie ständig überfiel.
Fakt war: Sie hatte nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen. Sie glaubte kein Wort von dem, was er sagte. Wenn sie jedoch zum Schein auf sein Angebot einging, würde ihn das vielleicht lange genug ablenken, damit sie doch noch davonlaufen konnte.
Jules unterdrückte einen Seufzer. Wenn das Leben ein wenig mehr wie ein Märchen wäre, würde dieser blöde Pakt funktionieren, und sie wäre all ihre Sorgen und Probleme los.
»Also gut«, stimmte sie zu. »Was muss ich tun?«
»Zuerst …«
»Warte!« Sie sah keinen Grund, diesen Spinner länger zu siezen. »Es ist doch hoffentlich kein Blut involviert. Ich werde keine Tiere opfern und mir auch nicht die Adern aufritzen oder etwas in der Art.« Ganz zu schweigen davon, dass sie mit dem Anblick von Blut nicht gut umgehen konnte und die Wahrscheinlichkeit, ohnmächtig zu werden, groß war, erschien ihr die Vorstellung, dieses Ritual, oder wie auch immer man es nennen wollte, könnte mit Blut besiegelt werden, dann doch ein wenig zu unheimlich.
»Keine Opfer und auch keine geöffneten Arterien. Versprochen.« Er zog eine Stecknadel aus dem Innenfutter seiner Jacke und hielt sie in die Höhe. »Das ist alles, was es braucht, um unseren Pakt zu besiegeln – nur ein kleiner Stich, ein winziger Tropfen Blut.«
»Vergiss es!«
»Es ist aber nötig.«
Sie hatte ihn ablenken und verschwinden wollen, doch der Schuss schien gerade gewaltig nach hinten loszugehen. Je länger diese Unterhaltung andauerte, desto mehr wuchs in ihr das beklemmende Gefühl, dass er ihr nicht genug Raum für eine Flucht geben würde. Ganz sicher aber würde sie sich nicht mit einer fremden Nadel stechen, an der wer weiß was für Keime und Krankheiten haften mochten.
Sie wich einen Schritt zurück, er folgte ihr nicht. »Kein Blut.«
»Es ist die Nadel, oder?« Auch als sie einen weiteren Schritt nach hinten machte, rührte er sich nicht. »Wir können es auch mit einer anderen machen. Hast du eine dabei?«
Das hatte sie tatsächlich. Erst vor ein paar Tagen hatte sie mit einer Sicherheitsnadel ihre Hose enger gemacht, weil sie noch nicht dazu gekommen war, den Bund abzunähen. Allerdings hatte sie nicht vor, ihm das auf die Nase zu binden.
»Du willst doch jetzt nicht etwa einen Rückzieher machen? Dich trennt nur noch ein Schritt von der Erfüllung deiner Wünsche!«
»Tut mir leid, so hatte ich mir das nicht vorgestellt.« Kopfschüttelnd und mit abwehrend erhobenen Händen wich sie weiter zurück. Nur noch zwei Schritte, noch ein bisschen mehr Abstand. Ihre Beine zuckten. Alles in ihr war bereit, herumzuwirbeln und zu laufen, so schnell sie ihre Füße trugen.
Shawn schien entweder nicht zu bemerken, was sie vorhatte,oder aber er war sich seiner Sache so sicher, dass er es nicht für nötig hielt, die Distanz zu ihr zu überbrücken. Statt einen Schritt auf sie zuzumachen, hielt er die Hand mit der Fläche nach oben vor sich und nickte einmal kurz. Aus dem Nichts erschien ein zusammengerolltes Blatt Papier darin.
Jeder Gedanke an Flucht war ausgelöscht.
Sie starrte auf seine Hand, suchte nach dem Weg, auf dem das Papier in seine Hand gekommen war, doch seine Jacke war so eng geschnitten, dass er das Papier unmöglich aus dem Ärmel gezogen haben konnte. Sie sah keinen Faden und auch nicht den geringsten Knick. Wenn er es an seinem Körper versteckt hatte, um es mit einem Trick hervorzuzaubern, hätte das Papier eingedrückt oder zerknittert sein müssen. Doch da war nichts. Nicht der geringste Hinweis, dass dieses Pergament von einem anderen Ort stammen konnte als dem Nichts, aus dem es erschienen war.
Bedeutete das etwa … Verflucht! Sollte das
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