Seelenglanz
schon? Sie schob den Zynismus beiseite, bevor er ihr den Blick auf das eigentliche Problem vernebeln konnte: ein Fremder, der sie offensichtlich verfolgte.
»Okay«, setzte sie an, um Zeit zu gewinnen, während sie aus den Augenwinkeln nach einem Fluchtweg Ausschau hielt. Rundherum freies Gelände, keine Bäume und Gebäude in Sichtweite – nichts, wo sie sich hätte verstecken oder um Hilfe bitten können. »Sie sind also mit meiner Entscheidung einverstanden. Das erklärt aber immer noch nicht, was Sie von mir wollen. Und erzählen Sie mir nicht wieder irgendeinen ›Ich bin die Lösung‹-Quatsch!«
Wenn sie über die Wiese hinter der Bank lief, könnte sie einen Haken schlagen und den Park an der Pine Street verlassen. Dort waren genügend Lokale, sodass sicher auch um diese Zeit noch Menschen unterwegs waren, die sie um Hilfe bitten konnte. Sie musste nur schnell genug sein.
»Warum setzen wir uns nicht?«, schlug er vor.
Für wie schwachsinnig hältst du mich?
»Dann könnte ich dir in Ruhe alles erklären.«
Und mich in noch größerer Ruhe umbringen und ausrauben oder was auch immer du mit mir vorhast. Nein danke.
»Ich habe dir ein Angebot zu machen.«
Vermutlich eines, das ich nicht ablehnen kann. Jules hatteden Paten hundertmal gesehen. Sie wusste, wie diese Art von Angebot aussah – und was passierte, wenn man es nicht akzeptieren wollte. Was auch immer er von ihr wollte, sie würde nicht lange genug bleiben, um sich sein ach so tolles Angebot anzuhören.
Tatsächlich ging er an ihr vorbei zur Bank und setzte sich. Als Jules sich nicht rührte, klopfte er mit der Hand auf die Sitzfläche neben sich. »Komm schon, setz dich.«
Langsam wich sie einen Schritt zurück. An der Bank vorbei, Haken nach links und ab zur Pine Street.
»Du willst wissen, warum ausgerechnet ich dir helfen kann?«
Sie spannte die Muskeln an und machte sich bereit.
»Ich arbeite für den Morgenstern«, fuhr er fort. »Und ich kann dir deinen sehnlichsten Wunsch erfüllen. Es kostet dich nichts weiter als deine Seele – und das auch erst nach deinem Tod.«
Es dauerte ein paar Sekunden, bis der Sinn seiner Worte zu ihr durchdrang. Als sie jedoch begriff, was er gerade gesagt hatte, konnte sie nicht anders: Sie begann zu lachen. Was er gesagt hatte, war nicht wirklich lustig, und unter normalen Umständen hätte sie ihm vermutlich einen Vogel gezeigt. Heute jedoch, nach diesem langen Tag, der gleichzeitig schrecklich, absurd und auf eigenartige Weise surreal gewesen war, stellte das eindeutig den Höhepunkt dar.
»Wie viel hat er Ihnen für dieses Schauspiel bezahlt?«
»Dein Freund aus der Gasse?« Der Fremde schüttelte langsam den Kopf. »Gar nichts. Ich würde seine Seele nicht einmal nehmen, wenn er sie mir mit einem Schleifchen umwickelt überreichen würde.«
Was sollte dieses Geschwätz über Seelen? Morgenstern , hatte er gesagt. Nur langsam erfasste sie die Bedeutung des Namens. Es ging nicht um eine Firma oder einen Mr Morgenstern,für den er arbeitete – er meinte den Morgenstern. Den Leibhaftigen. Den Teufel! »Sie sind ein Satanist.«
»Satanisten sind Menschen, die unserem Vorhaben und unserem guten Ruf schaden«, sagte er, ohne eine Miene zu verziehen. »Sie sind naive Kinder, deren Spinnereien wir all die missverständlichen Gerüchte zu verdanken haben, die über uns im Umlauf sind.«
Er stand auf und trat einen Schritt auf sie zu. Ein einziger Schritt, der ihre Chance auf Entkommen entscheidend schmälerte.
»Mein Name ist Shawn Raziel«, stellte er sich vor und hielt ihr die Hand entgegen. Mehrere Sekunden verstrichen, ohne dass Jules danach griff. Sie dachte nicht daran, diesen Kerl anzufassen. Er warf einen Blick auf seine Hand und sah ihr in die Augen. Als sie sich immer noch nicht rührte, ließ er den Arm wieder sinken. »Ich will dir wirklich helfen. Und noch wichtiger: Ich kann es auch.«
»Indem ich mit Ihnen einen Pakt schließe und meine Seele verkaufe.«
»Exakt.«
Jules wusste nicht einmal, ob sie an das Konzept der Seele glaubte. Die meiste Zeit über war sie sich nicht einmal sicher, ob sie überhaupt an einen Gott glauben sollte. Beweise dafür, dass es ihn gab, hatte sie noch keine gefunden. Sie hätte sich jetzt einreden können, dass es dafür ausreichend Hinweise auf eine Existenz Satans gab, dazu brauchte sie nur die Nachrichten anzusehen – oder mein eigenes beschissenes Leben – , trotzdem fiel es ihr schwer, ernst zu nehmen, was dieser Shawn Raziel sagte. Dieser Mann
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