Seelenglanz
lassen, als ich einen dumpfen Schlag vernahm. Nur gedämpft und für das Gehör eines Menschen vermutlich kaum wahrnehmbar, für mich jedoch deutlich genug. Ich verharrte reglos und lauschte. Das Geräusch war aus Richtung der Wohnungstür gekommen. Hatte Shandraziel einen Weg gefunden, den Schutz auszuhebeln, der meine Wohnung umgab?
In der Absicht, dem Eindringling eine unangenehme Überraschung zu bereiten, rief ich mein Schwert herbei, zog mich auf eine Ebene zurück, auf der ich für die Menschen unsichtbar war – ich wollte schließlich meine Nachbarn nicht erschrecken –, und versetzte mich in den Hausflur.Ich landete weit genug von meiner Tür entfernt, um einem Angreifer problemlos in den Rücken fallen zu können. Ich war auf alles vorbereitet – von einer Horde Gefallener über eine wilde Meute aufgebrachter Schutzengel, die gekommen war, um mich zu lynchen, bis hin zu gewöhnlichen Einbrechern. Damit, Jules schlafend auf meinem Schuhabtreter zu finden, hatte ich allerdings nicht gerechnet. Mit dem Rücken an den Türstock gelehnt saß sie da, zusammengekauert, als würde sie frieren. Ihr Kopf lag an der Tür. Vermutlich war das das Geräusch gewesen, das ich gehört hatte.
Misstrauisch sah ich mich um und warf sogar einen Blick in den Treppenschacht, um zu sehen, ob über oder unter mir jemand auf der Lauer lag. Als ich nichts Verdächtiges entdeckte, ließ ich mein Schwert verschwinden und ging neben Jules in die Hocke. Ich wollte sie wecken, überlegte es mir dann aber anders und schob meine Hände unter ihren Körper, um sie hochzuheben. Sie war unglaublich leicht, viel leichter, als es unter den weiten Klamotten aussah, und obendrein tropfnass.
Mit ihr auf den Armen versetzte ich mich zurück in mein Wohnzimmer. Ich rechnete damit, dass sie zappeln, schreien oder wenigstens erschrecken würde, aber sie wachte nicht einmal auf.
Ich dachte daran, sie einfach auf die Couch zu legen und schlafen zu lassen, doch selbst durch den Stoff ihrer Klamotten hindurch fühlte sich ihre Haut so kalt an, dass ich es nicht über mich brachte. Verflucht, was hatte sie hier überhaupt zu suchen?
Ich setzte sie in den Sessel, legte meine Hand auf ihre Schulter und schüttelte sie. »Jules. Aufwachen.«
Einen Moment lang geschah nichts. Dann riss sie plötzlich die Augen auf und fuhr mit einem unterdrückten Schreihoch, wobei sie um ein Haar den Sessel umgeworfen hätte. Verwirrt sah sie sich um.
»Kyriel, Gott sei Dank.«
»Was machst du hier? Wie hast du mich überhaupt gefunden?«
»Ich … Rachel hat deine Adresse auf die Visitenkarte geschrieben, damit ich weiß, wohin ich mich im Notfall wenden kann.«
Vielen Dank, Rachel. Es war ja nicht so, dass ich nicht genug eigene Probleme gehabt hätte. »Und das ist jetzt ein Notfall?«
»Kann man so sagen. Ja.« Ihre Lippen verfärbten sich allmählich blau.
»Weißt du was, am besten stellst du dich erst einmal unter die heiße Dusche und ziehst dir was Trockenes an, bevor du mir hier den Teppich noch völlig durchweichst.«
Ich schob sie vor mir her ins Badezimmer, brachte ihr ein Handtuch, eine Trainingshose und einen warmen Pullover aus meinem Schrank, dann ließ ich sie allein. Sobald ich das Rauschen der Dusche hörte, ging ich in die Küche und setzte Kaffee auf. Es war nicht das erste Mal, dass ich eine Frau in meiner Wohnung hatte, aber es war ganz sicher das erste Mal, dass ich nicht wusste, was ich mit ihr anstellen sollte.
Als Jules aus dem Bad kam, musste ich mir ein Lachen verkneifen. Die Trainingshose war so lang, dass Jules sie an den Aufschlägen mehrmals umgekrempelt hatte, bis sie wie dicke Wülste um ihre Knöchel baumelten. Beim Pullover hatte sie zum Glück davon Abstand genommen, andernfalls hätte sie mir die Ärmel ordentlich ausgeleiert. Statt sie hochzukrempeln, schob sie die Ärmel immer wieder nach oben, sie rutschten jedoch jedes Mal schnell wieder zurück und schlackerten ein paar Zentimeter von ihren Fingerspitzen entfernt herum.
Sobald sie sich auf die Couch gesetzt hatte, schenkte ich ihr Kaffee ein, schob ihr die Zuckerdose und die Milch hin und ging ins Bad, um ihre Sachen in den Trockner zu werfen. Gut, dass mich niemand sah, denn ich benahm mich schon wie Akashiel.
Als ich ins Wohnzimmer zurückkehrte, wärmte Jules ihre Finger an der Tasse und sah mich an. »Danke«, sagte sie. »Ich wusste einfach nicht, wo ich hinsollte.«
Da es keinen Sinn hatte, das Unvermeidliche noch länger hinauszuzögern, ließ ich mich in
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