Seelenglanz
den Sessel fallen und sah sie an. »Was ist passiert?« Warum von allen Orten auf der Welt kommst du ausgerechnet hierher?
»Shandraziel hat mich verfolgt.« In knappen Sätzen berichtete sie, wie er ihr aufgelauert hatte, um ihr sein Angebot zu unterbreiten, und sie – nachdem sie clever genug gewesen war abzulehnen – in mehrere gefährliche Situationen gebracht hatte. »Ich konnte ihn abhängen und mich verstecken, aber ich habe mich nicht getraut nach Hause zu gehen, aus Angst, dass er mir doch noch folgt.« Sie sah erschrocken auf. »Er weiß doch nicht, wo ich wohne, oder?«
Ich schüttelte den Kopf. »Dann wäre er längst dort aufgetaucht.« Eine Weile betrachtete ich sie schweigend, beobachtete, wie die kühle Blässe allmählich aus ihren Zügen wich, und betrachtete den lebendigen Glanz in ihren Augen. Schließlich konnte ich mich nicht länger zurückhalten. »Warum kommst du ausgerechnet zu mir?«
»Du bist der Einzige, dem ich vertraue.«
An ihrer Menschenkenntnis würden wir wohl noch arbeiten müssen. »Du bleibst heute Nacht hier«, sagte ich. »Deine Mutter ist nicht in Gefahr, und gleich morgen werde ich mit Akashiel sprechen und dafür sorgen, dass du Schutz bekommst. Musst du morgen arbeiten?«
Sie schüttelte den Kopf. »Es ist mein freier Tag.«
»Gut. Shandraziel weiß, wo du arbeitest und wo du zur Schule gehst. Solange wir uns nicht um deinen Schutz gekümmert haben, darfst du keinen der Orte aufsuchen, an denen du dich für gewöhnlich herumtreibst.« Viele konnten das in ihrem Fall sowieso nicht sein. Ich warf ihr eine Decke zu. »Am besten schläfst du jetzt erst einmal ein paar Stunden. Ich werde mich gleich morgen früh um alles kümmern.«
18
Jules schlief noch, als ich mich am nächsten Morgen sehr früh auf den Weg machte. Ich hinterließ ihr eine Nachricht, in der ich sie aufforderte, die Wohnung auf keinen Fall zu verlassen, und ihr sogar gestattete, sich aus meinem Kühlschrank zu bedienen.
Da ich nicht wusste, ob Akashiel allein war oder ob Japhael bei ihm sein würde, versetzte ich mich dieses Mal nicht direkt in sein Arbeitszimmer, sondern in die Küche. Abgesehen vom Duft des Frühstücksspecks, der noch beinahe greifbar in der Luft hing, war die Küche verlassen. Der Geruch erinnerte mich daran, dass ich schon eine ganze Weile nichts mehr gegessen hatte. Hoffentlich hob Jules mir etwas vom spärlichen Inhalt meines Kühlschranks auf.
Ich verließ die Küche und folgte dem langen Gang zu Akashiels Arbeitszimmer, aus dem Stimmen zu hören waren. Leise näherte ich mich der angelehnten Tür und spähte in den Raum, wo Akashiel mit Uriel und Japhael um den Schreibtisch herum saß. Die Mienen der drei waren angespannt und die Kaffeetassen vor ihnen unberührt. SelbstUriel, dessen alterslose Züge für gewöhnlich Gelassenheit zeigten, wirkte beunruhigt.
»Wir haben vier tote Schutzengel und mindestens drei verlorene Nephilim«, erboste sich Japhael gerade.
Vier? Beim Überfall der Gefallenen hatte es nur drei Tote gegeben. Offensichtlich waren andere Nephilim erfolgreicher gewesen als Akashiels Assistent. Bei den verlorenen Nephilim war ich allerdings nicht sicher, ob Japhael damit meinte, dass sie tot waren, oder ob er sie für verloren erachtete, weil sie nicht länger im Besitz ihrer Seele waren.
Japhaels Laune hatte sich seit unserer letzten Begegnung kein Stück gebessert. Wenn überhaupt, war er jetzt noch mehr in Rage als gestern. Verdenken konnte ich es ihm ausnahmsweise nicht. »Weiß der Himmel, wie viele Nephilim Luzifer noch unter Kontrolle hat, von denen wir nicht einmal wissen!«
»Wir müssen auf der Hut sein«, stimmte Uriel ihm zu.
»Am besten halten wird die Nephilim vorerst auf Abstand«, überlegte Akashiel und wandte sich an Japhael. »Kannst du sie in die Höhle zurückbringen und dafür sorgen, dass sie dortbleiben, bis die Sache geklärt ist?«
Japhael brummte eine Zustimmung. »Ich werde das gleich in die Wege leiten und dann kümmern wir uns um den Seelenfänger. Kyriel muss endlich aus dem Verkehr gezogen werden! Der Kerl ist eine Gefahr!«
»Nach allem, was ich dir erzählt habe, denkst du doch nicht allen Ernstes immer noch, dass er dahintersteckt!«
Uriel wirkte interessiert. »Du glaubst es nicht, Akashiel?«
»Nein.« Er schüttelte so entschieden den Kopf, dass ich ihm am liebsten auf die Schulter geklopft hätte. »Abgesehen davon, dass Miles es gestern auf ihn abgesehen hatte, war er über seinen Angriff ebenso überrascht
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