Seelenglanz
Schutz des Hirten, denn er verhinderte immerhin auch, dass Shandraziel einfach bei mir auftauchen konnte.
Im Gegensatz zu Engeln und Gefallenen verfügten die Nephilim nicht über die Fähigkeit, sich zu versetzen. Sie waren also auf jeden Fall gezwungen, das Haus durch die Tür zu verlassen – wo Shandraziel auf sie warten und ihnen ein Angebot unterbreiten konnte.
Ich wusste, wie wenig Japhael von den Nephilim hielt. Er hatte sie so lange als eine Gefahr für die himmlische Ordnung betrachtet, dass er jetzt nicht einfach umdenken konnte. Entsprechend war sein Umgang mit ihnen. Mehr als einmal war ich Zeuge gewesen, wie er seinen eigenen Assistenten mit einer Mischung aus Geringschätzung und Abscheu behandelt hatte. Dass der bereit wäre, sich gegen ihn zu stellen, konnte ich verstehen. Aber was war mit denanderen? Und wie hatte Shandraziel es überhaupt geschafft, die Nephilim aufzuspüren?
Ich musste mit Luzifer sprechen. Jetzt war der geeignete Moment. Vermutlich hatten alle Schutzengel Markiels Notruf erhalten und waren auf dem Weg dorthin, sodass es niemandem auffallen würde, wenn ich mich für eine Weile aus dem Staub machte. Vorsichtig öffnete ich meine Signatur weit genug, um mit meinem Geist in den Äther zu tasten. Ich suchte nach einer Präsenz, jemandem, der nur darauf lauerte, dass ich mich wieder zu erkennen gab. Doch es war alles ruhig. Selbst Japhael schien Wichtigeres zu tun zu haben, als nach mir zu suchen.
Bevor ich es mir anders überlegen konnte, sandte ich Luzifer ein Signal. Es dauerte keine Sekunde, bis er seine Signatur öffnete und ich mich zu ihm versetzte. Zu meinem Erstaunen fand ich mich nicht in der Vulkanhöhle wieder, in der er seine offiziellen Besprechungen durchführte, sondern in seinem privaten Salon. Mehrere kleine Lampen tauchten den Raum in warmes Licht. Der große Deckenventilator stand still, und die Luft war heiß und stickig, was nicht zuletzt dem Feuer im Kamin zu verdanken war. Mondlicht fiel durch eine große Fensterfront und verbreitete seinen silbernen Schein im Raum. Auf der anderen Seite der Scheibe erstreckten sich die schattenhaften Ausläufer einer großzügigen Parkanlage. Das Land, das sich bis an den Horizont zu erstrecken schien, war hügelig und grün und nur wenig bewaldet.
Es war nicht das erste Mal, dass Luzifer mich zu sich nach Hause einlud, trotzdem hatte ich bisher weder einen anderen Raum als diesen Salon zu sehen bekommen noch herausgefunden, wo genau dieses Haus stand.
Es schien sich um ein Herrenhaus im viktorianischen Stil zu handeln, mit Stuck an den hohen Decken, reich verziertenTüren und ziemlich altmodischen Tapeten, die wohl seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr getauscht worden waren. Dem Baustil nach zu schließen hätten wir uns in England befinden müssen. Doch dafür war das Wetter hier eindeutig zu schön und viel zu warm, weshalb ich vermutete, dass wir uns eher in einer der ehemaligen britischen Kolonien befanden – vermutlich irgendwo in der Karibik.
Luzifer saß mit übereinandergeschlagenen Beinen in einem antik aussehenden Ohrensessel und las Zeitung. Er trug einen dunkelroten Hausmantel, der über den Knien auseinanderklaffte und den Blick auf die darunterliegende schwarze Stoffhose freigab.
Als ich mich räusperte, ließ er die Zeitung sinken. »Stell dir vor, künftig sollen in den Vereinigten Staaten noch mehr Daten über die Bürger gesammelt werden«, sagte er anstelle einer Begrüßung. »Eines Tages werden sie diesen armen Leuten noch die Seele nehmen. Und das, bevor wir es tun können. Wer hätte gedacht, dass Politiker einmal zu unserer größten Konkurrenz werden würden?« Er faltete die Zeitung zusammen und legte sie auf den kleinen Tisch neben sich. »Warum bist du hier? Du weißt, dass es gefährlich ist!«
»Was Shandraziel treibt, ist ungleich gefährlicher«, erwiderte ich. »Du musst ihn zurückpfeifen!«
Er kniff die Augen zusammen und bedeutete mir fortzufahren. In knappen Worten berichtete ich von dem Überfall der Gefallenen, den toten Schutzengeln und Japhael, der mich fortan nur noch mehr hassen würde. Die ganze Zeit über blieb Luzifers Miene ausdruckslos. Erst als ich ihm von den Nephilim erzählte, die sich gegen ihre Herren gewandt hatten, veränderte sich etwas in seinen Zügen, doch es war nicht Wut, wie ich erwartet hatte, sondern etwas anderes, was in seinen Augen lauerte wie ein angriffslustiges Raubtier: Der Morgenstern war erfreut.
»Japhael hat mir noch nie vertraut«, schloss
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