Seelenglanz
ich meinen Bericht. »Und nach dieser Aktion halten sie mich erst recht für einen Verräter. Ich werde auffliegen!«
Luzifer zeigte sich wenig beeindruckt. »Du kommst doch ohnehin nicht voran. Shandraziels Arbeit scheint wesentlich effektiver zu sein.«
»Du wusstest davon?«
»Natürlich.« Was er nicht aussprach, stand in seinen Augen geschrieben: Von dem Überfall auf Japhael und die anderen Schutzengel hörte er gerade zum ersten Mal. Auch wenn er sich Mühe gab, sich nichts anmerken zu lassen, kannte ich ihn gut genug, um die Anzeichen zu bemerken. Doch auch wenn jemand ohne seine Anweisung gehandelt hatte, schien er sich nicht daran zu stören. Was plante er, dass er auf einmal so sehr von seinem gewohnten Vorgehen abwich und sogar tolerierte, dass Engel angegriffen wurden?
»Wann hast du dich entschieden, mich zum Bauernopfer zu machen?«
»Stell dich nicht so an!«, mahnte er. »Ich kenne dich und ich weiß, dass du auf dich aufpassen kannst. Mit ein paar widrigen Umständen wirst du schon fertig. Abgesehen davon musst du nicht mehr zurück. Dein Auftrag ist beendet.«
»Was?«, entfuhr es mir. »Warum das? Nur weil es länger dauert, als wir dachten?«
Luzifer erhob sich aus seinem Sessel. Seine Schritte verursachten nicht den geringsten Laut, als er zum Fenster ging und auf den Park blickte. Es verging einige Zeit, bis er sich wieder zu mir herumdrehte. »Ich glaube, du hast das Interesse an unserer Sache verloren, Kyriel.«
Mir blieb die Luft weg. »Ich? Derjenige, den unsere Sache nicht zu kümmern scheint, bist du!«
Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Wiehatte ich die schleichende Veränderung so lange übersehen können? Eine Veränderung, die Luzifer blind für seine Ideale hatte werden lassen.
»Wir haben diesen Kampf begonnen, um etwas zu verändern«, sagte ich. »Doch mittlerweile scheint mir, dass es dir nicht länger um unsere Ideale geht, sondern nur noch darum, den Platz des Hirten einzunehmen. Es ist der Kampf an sich, der dich interessiert, aber es geht dir nicht mehr darum, warum wir ihn führen.«
Luzifer richtete sich kerzengerade auf. Schlagartig war jede Freundlichkeit aus seinem Gesicht gewichen. »Wer bist du, dass du es wagst, so mit mir zu sprechen!«
»Ich bin der, der Jahrtausende an deiner Seite stand, dir blind folgte und vertraute.« Und wahrlich, blind war ich gewesen. Anders konnte ich mir nicht erklären, warum mir erst jetzt klar wurde, wie sehr Luzifer sich verändert hatte. Er war nicht nur mein Anführer, sondern auch mein bester Freund gewesen, doch in den letzten Jahrhunderten hatte ich ihn kaum noch zu Gesicht bekommen. Zumindest nicht, solange es nicht darum ging, Geschäftliches mit ihm zu besprechen. Rückblickend betrachtet war unsere Freundschaft schon lange nicht mehr so gewesen wie früher. Wenn ich in seine kalten Züge sah, begann ich mich sogar zu fragen, ob sie je echt gewesen war.
»Ich glaube, dass unsere Ziele nicht mehr dieselben sind.«
Ich rechnete damit, dass Luzifer mich anschreien, auf mich losgehen oder mich gleich in Ketten legen lassen würde. Stattdessen verschränkte er die Arme vor der Brust und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Fensterbank. »Nimm dir ein paar Tage Zeit, um über alles nachzudenken«, sagte er ruhig. »Dann wirst du erkennen, dass sich nichts verändert hat und dich lediglich dein schlechter Umgang der letzten Zeit verblendet.«
Damit war ich entlassen und versetzte mich in mein Wohnzimmer.
Es war nicht die erste Auseinandersetzung, die ich je mit ihm gehabt hatte, und bisher hatten wir unsere Differenzen immer beilegen können. Dieses Mal jedoch war etwas anders. Ich konnte es nicht an etwas Bestimmtem festmachen, was Luzifer gesagt oder getan hatte, nur an dem Gefühl, das unser Gespräch in mir hinterlassen hatte. Ich verspürte nicht die Bereitschaft, reumütig zu ihm zurückzukehren, und auch nicht das Bedürfnis, für Frieden und Eintracht zwischen uns zu sorgen, wie es mich sonst oft noch während eines Disputs überkam.
Vielleicht hatte er recht und alles würde sich wieder einrenken, nachdem ich Zeit hatte, über alles nachzudenken. Aber irgendwie bezweifelte ich das. Luzifer konnte sehr nachtragend sein und ich hatte mich mit meinen Worten weit aus dem Fenster gelehnt. Das würde er mir nicht so leicht vergeben. Zur Hölle, ich wusste nicht einmal, ob ich seine Vergebung dafür wollte, dass ich die Wahrheit gesagt hatte!
Ich ging zur Couch und wollte mich in die Polster fallen
Weitere Kostenlose Bücher