SEELENGOLD - Die Chroniken der Akkadier (Gesamtausgabe)
schreien, doch das Meer erstickte seinen Ruf. Roven versank in der Tiefe und seine Panik wurde erneut von einer ermüdenden Taubheit abgelöst. Es war also doch nur Einbildung gewesen. Er erhielt keine zweite Chance.
Die Wasseroberfläche wurde durch etwas erschüttert. Ein riesiger Körper verdunkelte das letzte Licht des Mondes und sank langsam hinab, genau in Rovens Richtung. Doch erst als er die geschmeidigen Bewegungen der Gliedmaßen erkannte, begriff er, dass es sich um ein lebendiges Tier handeln musste. Aus der schwarzen Masse blitzten zwei weiße Kreise hervor, die Roven im Visier hatten. Darüber wirbelten riesige Hörner durch das Wasser und an den Vorderläufen befanden sich nicht minder beängstigende Klauen. Mein Gott , was war das nur?
Der Schotte hatte noch nie solch ein Tier zu Gesicht bekommen. Eine wallende Mähne umgab den riesigen Kopf, der Körper voller Muskeln. Wäre ihm dieses Monstrum zu Lebzeiten begegnet – er hätte sein Schwert gezogen und es zur Strecke gebracht. Aber hier, in der Hölle, spielte das überhaupt noch eine Rolle? Wovor sollte er schon Angst haben? Im Gegenteil. Das Licht, das den Augen des Tieres entsprang, wirkte geradezu beruhigend auf ihn, wie ein Heiligenschein.
Als das Ungetüm ihn erreicht hatte, schlugen sich die riesigen Fangzähne in Rovens Schulter – einen Schmerz spürte er nicht. Es zerrte an ihm und paddelte nach oben, zog ihn mit Leichtigkeit hinauf. Sie erreichten den Meeresspiegel und das Wasser in Rovens Lungen entwich, als hätte jemand einen Holzstopfen gezogen. Mit kraftvollen Zügen näherten sie sich dem Ufer. Roven wurde durch nassen Sand gezogen und weit entfernt von der Brandung des Meeres abgelegt. Die Fänge des Monstrums gaben seine Schulter wieder frei. Seine Augen schlossen sich wie von selbst, zu müde, zu erschöpft, um über all das nachzudenken. Er konnte nicht mehr. Er wollte sich ausruhen und schlafen.
Die Bestie über ihm knurrte, als wäre sie damit nicht einverstanden.
Rovens Kopf fiel wie von selbst zur Seite und eine Weile lang nahm er nichts außer dem Meeresrauschen wahr. Doch etwas Entscheidendes fehlte – der Kriegslärm. Der Schotte blinzelte und suchte die Schlachtschiffe, die Norweger und die Toten. Nichts davon war hier. Nicht einmal das Unwetter tobte über ihm. Stattdessen bedeckten tausend Sterne den Nachthimmel, zogen sich bis zum Horizont und verschwanden im Meer.
Und das Ungetüm? Stand neben ihm und schien auf etwas zu warten. Im Licht der Sterne wirkte sein Fell nicht mehr schwarz, sondern dunkelblau mit hellen Schattierungen, und sah dermaßen weich aus, dass Roven beinahe den Wunsch verspürte, es zu berühren. Die riesigen Hörner schienen aus Gold zu sein, genauso wie die Klauen an Vorder- und Hinterläufen. Und diese Augen ... In diesen Augen könnte man sich verlieren.
In Rovens Kopf wurde ein Dröhnen lauter – wie das Echo eines zweiten Herzschlags. Vor kurzem noch hatte er nicht einmal eine menschliche Hülle besessen und jetzt wohnten ihm gleich zwei Herzen inne?
Nieselregen fiel vom Himmel, obwohl keine einzige Wolke zu sehen war. Selbst dieser bestand aus Gold und legte sich wie eine Staubschicht auf Rovens Körper. Eine Wärme fuhr in ihn hinein und belebte den müden Leib. Kraft kehrte zurück, neuer Tatendrang überwältigte Roven. Er spürte plötzlich so viel Energie in sich, so viel Macht.
Der Schotte sprang auf seine Füße und wäre am liebsten losgerannt.
Doch die Bestie vor ihm begann zu knurren und grub ihre Klauen wie zum Angriff in den Sand.
Kämpfe! , flüsterte jemand in seinem Kopf. Kämpfe oder deine Seele ist verloren. Wenn du nicht kämpfst, tötet sie dich!
Kämpfen? Gegen dieses Monstrum?
Die Bestie senkte den Oberkörper, ohne ihn aus den Augen zu lassen, schien nur auf eine einzige Bewegung zu warten, um angreifen zu können. Sie wollte sich mit ihm messen, zwang ihn, sich zu verteidigen.
In Rovens Verstand legte sich ein Schalter um. Dies hier war nicht länger die Realität, konnte es nicht mehr sein. Das lebendige Rauschen in seinen Adern s uchte nach Befriedigung. Er ließ die Anspannung mit einem Ruck nach außen und stürzte sich auf das knurrende Ungetüm.
Solch dreisten Angriff hatte es nicht erwartet. Roven umklammerte den Hals des Monstrums und konnte es auf den Rücken schleudern. Die Klauen gruben sich tief in seinen Oberkörper, doch der erwartete Schmerz blieb aus. Das Maul schnappte nach Rovens Schädel. Er hatte Mühe, der Kraft des Tieres
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