SEELENGOLD - Die Chroniken der Akkadier (Gesamtausgabe)
hindurch. Es hätte ihm Angst machen sollen, doch er fühlte nichts.
Das Meer kam näher, umspülte Rovens Körper und schien darauf zu warten, sein kaltes Fleisch zu verschlucken.
Er würde sterben. An diesem Tag sollte sein Leben erlöschen und er fragte sich, ob es das wert gewesen war und ob er nicht hätte mehr erreichen können. Er hatte die Liebe nie kennengelernt. Das bereitete ihm den größten Wehmut, dass er sein Herz nicht verschenkt hatte –an eine Frau, die die Seine war. Nein. Er hatte sie in den zweiunddreißig Jahren, die er gelebt und gekämpft hatte, nicht finden können. Und das war es jetzt – für immer vorbei.
Seine Augen glitten zu und schwärzten die blutrote Nacht.
Er hörte sich ein letztes Mal atmen, spüren konnte er es nicht mehr.
Eine gewaltige Last zog Roven nach unten, bis er in vollkommene Stille gehüllt war. Finsternis. Da war kein Licht, nichts, das ihn begleitete, in die nächste Welt lockte, nichts. Er fühlte sich körperlos, schien in der Luft zu hängen. Sein Bewusstsein, seine Seele waren wie festgenagelt, er konnte weder vor noch zurück.
Doch aus der Taubheit seines Körpers strebte ein wacher Verstand hervor. Roven war vollkommen bei Sinnen, konnte klar denken, obwohl er theoretisch kein Gehirn besaß. Was ihn an seinem Tod somit mehr schockierte als die Tatsache an sich, war, dass er ihn bewusst wahrnahm. Dass er sich daran erinnerte, wie er gestorben war und überlegte, was er hier sollte. Das konnte unmöglich die Ewigkeit sein. Es musste doch noch irgendwie weitergehen. War es Bestrafung, weil er zu wenig geleistet hatte? Durfte er die nächste Welt noch nicht betreten, weil er unwürdig erschien?
Plötzlich zog ein warmer Luftstrom an Roven vorbei, wehte um ihn herum und duftete nach Blumen und Sommerregen. Ein goldener Funken erschien genau vor ihm und tanzte in der Luft. Er rekelte sich und wurde größer, leuchtender, erhielt eine menschliche Form. Roven konnte schmale Schultern, volle Brüste, eine elegante Taille und äußerst weibliche Hüften erkennen. Rotblondes Haar wallte hervor und rahmte den gold glitzernden Körper ein, ergoss sich wie ein Umhang zu Boden. Weiße Seide umgab den Leib des Wesens, verbarg allerdings nichts vom einladenden Dekolleté, über dem ein schlanker Hals zu ihrem herzförmigen Gesicht führte. Oberhalb der geschwungenen Kinnlinie wölbten sich volle Lippen. Zwischen runden Wangenknochen bildete sich eine feine Nase. Und der Bernstein, die in den Augen funkelte, verschlug Roven endgültig die Sprache.
Als dieses Geschöpf das Wort an ihn richtete, klang ihre Stimme butterweich. Würde er noch einen Körper besitzen, hätte sie eine Gänsehaut bei ihm ausgelöst.
„Reiche mir deine Hand, Roven McRae!“ Sie streckte ihre rechte nach vorn, die Innenfläche glühte wie flüssiges Gold. „Schenke mir deinen letzten Willen, wenn du heute nicht in den Kriegerhimmel aufsteigen möchtest. Wenn du weiterleben und weiterkämpfen möchtest. Wenn du dieser Welt und ihrem Volk weiter zu dienen vermagst und der Hirte werden willst, dessen Seele du seit deiner Geburt in dir trägst. Schenke mir dein Vertrauen und du sollst ewig und unsterblich als Krieger der heiligen Mutter auf Erden verweilen und für die Gerechtigkeit kämpfen.“
Roven konzentrierte sich auf die goldene Handfläche und versuchte, ihre Worte zu begreifen. Weder deren Inhalt noch seine aktuelle Situation ergaben irgendeinen Sinn für ihn. Aber alles, was nicht mit dem Tod endete, hörte sich in diesem Moment verlockend an. Wenn das stimmte, was sie sagte, erhielt er eine zweite Chance. Die Chance auf ein weiteres Leben. Ein Leben, in dem Roven mehr erreichen konnte. In dem er dienen und helfen konnte.
Er versuchte, seine Hand zu heben und wurde daran erinnert, dass er keinen Körper mehr besaß. Sie lächelte und kam auf ihn zu.
„Dann sei es so.“
Was dann geschehen war, hatte sich bis heute in sein Gedächtnis eingebrannt und ließ ihn die Qualen jedes Mal erneut spüren, wenn ihn die Erinnerung einholte.
Die goldene Schönheit löste sich in Luft auf und Roven wurde schlagartig zurück in seinen toten Körper geschleudert. Ein unglaublicher Druck wirkte auf ihn ein. Wasser. Schwarzes Wasser überall. Rovens Leib war ins Meer gezogen worden. Voller Panik versuchte er, nach Luft zu schnappen, doch seine Lungen waren voll salziger Flüssigkeit und sein Körper unbeweglich wie ein Stein.
Der Tod würde sich ein zweites Mal an seinem Leid ergötzen.
Er wollte
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