SEELENGOLD - Die Chroniken der Akkadier (Gesamtausgabe)
Groß Britanniens war die Luft bereits auf Winter eingestimmt – kalt und rein durchströmte sie ihre Lungen und vertrieb den Nebel aus ihrem Kopf.
Wieder drinnen durchstöberte Selene das Zimmer nach persönlichen Gegenständen, fand aber nichts, das ihr mehr über Roven, den Akkadier, verriet.
Das angrenzende Badezimmer glich einem Tempel. Italienische Fliesen schmückten Wände und Boden, bis auf eine kleine Stelle, an der sie zerbrochen waren. Selene tastete nach den Scherben und fuhr über die glitzernde Flüssigkeit, die sich darauf befand.
Es musste sein Blut sein.
Doch die Farbe Gold verbarg die abschreckende Wirkung, die es normalerweise besaß.
Als sie aufstand und ihr Abbild im Spiegel erblickte, erschrak Selene. Sie hatte sich verändert. Ihre Wangen glühten. Augenringe gab es nicht mehr. Die Iriden wirkten satter, beinahe rötlich.
Er verändert mich.
Sie fühlte diese Macht, die sie nicht haben wollte. In ihr erwachte etwas, von dem Selene hoffte, dass es nichts Böses war.
Der Akkadier kauerte auf der Treppe zum Erdgeschoss, den Schädel in die Hände gestützt. Seit einer viertel Stunde versuchte er, sich zu beruhigen. Doch das Dilemma, das er Selene aufgebürdet hatte, ließ sich nicht rückgängig machen. Seine Eingeweide zogen sich unwillkürlich zusammen. Er hungerte nach ihr. Du bist ein Monster!
„Roven? Alles okay?“ Obwohl Rovens Gesicht, verzerrt wie es war, abschreckend wirken musste, wich Jason nicht zurück. Er kam die Treppe hinauf und setzte sich neben ihn.
„Ich bin kein guter Akkadier mehr.“ Er klang beschämt – so, wie er sich fühlte. Du hast die Kraft verloren, dein Tier zu beherrschen!
„Ach, das ist doch Blödsinn, Alter! Jeder hat mal einen schlechten Tag. Du willst halt jemanden beschützen und das sollst du doch auch. Das ist doch richtig so. Ju kann das ab, der musste schon wesentlich schlimmere Prügel einstecken. Mach dir mal keinen Kopf, das wird schon wieder.“
„Jason, ich verliere die Kontrolle über Naham . Und damit bringe ich hier alle in Gefahr.“ Dass er so etwas jemals zugeben müsste, hätte er nie gedacht. Doch die Realität holte ihn ein und es gab keinen Ausweg. Roven musste sich weiterhin im Zaum halten und dem Hunger widerstehen – solange es eben gut ging, solange es ihm gelang.
„Hey.“
Selene stand hinter ihnen und Rovens Magen verkrampfte sich von neuem. Jason sprang überrascht auf.
„Hey, wow! Ich mein, hey!“ Er stolperte die Stufen nach oben und reichte ihr seine Hand. Roven erhob sich langsam und biss die Zähne zusammen. „Ich bin Jason“, lächelte er aufgeregt und, für Rovens Geschmack, viel zu freundlich.
„Freut mich, ich bin Selene.“ Als sich ihre Hände berührten, musste der Akkadier ein Knurren unterdrücken.
„Ich wusste gar nicht, dass wir Besuch haben. Das ist toll!“ Jason drehte sich zu Roven. Sein erfreutes Grinsen wich einem schüchternen Lächeln. Doch die Verwunderung darüber, dass eine Frau anwesend war, stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Selene wich Rovens Blick nicht aus. Sie lächelte. Wäre sein Verstand nicht benebelt, würde er glauben, dass sie ihm keine Vorwürfe machte.
„Ich schätze, ich bleibe ein paar Tage hier“, sagte sie zu Jason doch in seine Richtung gewandt. Roven drehte sich weg, ignorierte die offenkundige Vergebung seines Fehlverhaltens und stapfte grummelnd die Stufen hinab.
„Sie bekommt alles, was sie braucht! Ist das klar, Jason?“ Eine Drohung hätte er nicht warnender aussprechen können.
„Sicher, Großer. Ich kümmere mich um alles.“
Roven eilte in die Trainingshalle. Er brauchte mehr Abstand – und eine kalte Dusche.
Selenes Augen folgten Rovens Schritten.
„Hast du vielleicht Hunger?“ Jasons Frage ließ sie unbeachtet. Sie wollte nicht, dass Roven sich Vorwürfe machte. Angst hatte er ihr jedenfalls keine eingejagt.
„Selene?“
„Oh, ähm … ja, ein bisschen schon.“ Jason musste jünger sein als sie. Aber als er sie anzwinkerte und seinen Mund zu einem schiefen Lächeln verzog, war sie sich da nicht mehr so sicher.
„Dann lass uns nach unten in die Küche gehen.“
Der Junge lief voraus und deutete ihr zu folgen. Doch Selenes Augen konnten sich an der nun gänzlich enthüllten Schönheit Avenstones nicht sattsehen. Es glich einer verlassenen Burg, die erstklassig hergerichtet worden war. Die Decke erhob sich wie ein zweiter Himmel über der antiken Holztreppe. Und als Selene die Stufen hinabschritt, holte sie das Gefühl von
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