SEELENGOLD - Die Chroniken der Akkadier (Gesamtausgabe)
waren heruntergelassen. Somit hatte der Tag noch nicht geendet und Roven musste nur etwa vier Stunden geschlafen haben. Es war nicht viel, sollte aber genügen. Er brauchte dringend eine kalte Dusche, um diesen Nebel in seinem Kopf loszuwerden. Auf dem Weg zum Badezimmer leerte er den letzten Schluck seines Schlaftrunkes. Tullamore Dew – flüssiges Gold. Eine der Schöpfungen, für die Roven der Menschheit dankte. Er kannte nichts vergleichbar Perfektes und Whiskey half eigentlich immer. Nur heute blieb der erwartete Genuss aus.
Nach der Dusche fühlte er sich besser. Roven wählte ein bequemes Outfit – Jeans und ein lockeres T-Shirt, beides schwarz. Barfuß verließ er sein Zimmer und ging an den leer stehenden Räumen vorbei. Die breite Treppe hinab betrat er Avenstones Eingangshalle. Die Sonne war mittlerweile untergegangen und die Rollläden, die an jedem Fenster der Burg angebracht waren, fuhren hoch. Roven wusste die moderne Technik zu schätzen. Sie gestaltete vieles einfacher, vor allem für Geschöpfe wie ihn.
Er trat an eines der Fenster und blickte nach draußen. In den Tälern der Umgebung vereinten sich Nebelschwaden zu einem weißen Meer. Schottland – seine Heimat. Roven hatte schon viele Länder besucht – Italien, Russland, Frankreich, selbst Tibet und Peru. Stets waren Kriege der Grund dafür gewesen. Nicht die Kriege der Menschheit, sondern die seiner Art gegen die Taryk. Doch selbst nach so vielen Jahrhunderten blieb Schottland in seinem Herzen verankert. Er würde hier leben, solange er konnte und durfte.
„Guten Abend, Herr. Ihr habt nicht sehr lang geruht.“
„Der Whiskey war alle“, scherzte Roven und drehte sich zu seinem Butler um. Adam war seit zirka fünf Dekaden für ihn tätig und mittlerweile dreiundsiebzig. Das Alter sah man ihm an, aber er selbst würde behaupten, er fühle sich gerade erst wie vierzig. Roven hatte Adam des Öfteren vorgeschlagen, in den Ruhestand zu gehen. Doch der alte Mann sagte immer: „Wer soll denn dann auf Euch Acht geben?“, und hatte damit wahrscheinlich nicht so unrecht. Für einen Akkadier wie Roven zu arbeiten war für Adam eine Aufgabe, die aus seiner Abstammung resultierte. Diese Zugehörigkeit zu den Unsterblichen wurde an die Nachkommen weitergegeben, sodass auch sein Enkel Jason schon mit fünfundzwanzig Jahren in Rovens Diensten stand.
„Darf ich Euch Abendessen zubereiten, Sire?“
„Nein Danke, Adam. Ich habe keinen Hunger. Gibt es Neuigkeiten aus London?“
„Soweit ich weiß, nicht.“ Adam verweilte an Ort und Stelle und wartete auf weitere Anweisungen.
„Wo steckt Jason?“
„Herr, wenn Ihr mir diese Dreistigkeit erlaubt: Wo sollte er schon sein, wenn nicht im Keller“, erwiderte der alte Mann mit einem Schmunzeln.
Natürlich. „Danke.“
Roven marschierte Richtung Kellertür, warf sie hinter sich ins Schloss und ging die steinerne Treppe hinab. Selbst ohne Stiefel erzeugte sein Gewicht ein dumpfes Geräusch auf den Stufen. Unten angekommen durchquerte er das hohe Gewölbe und erreichte die Stahltür, die wie gewöhnlich einen Spalt breit offen stand. Roven betrat das hell erleuchtete Büro.
Die aus Sandstein gemauerten Wände und der anthrazitgraue Marmorboden verliehen dem Raum eine behagliche, wenngleich moderne Atmosphäre. Jason saß mit dem Rücken zur Tür und starrte abwechselnd auf drei Monitore. Unaufhörlich hämmerte er in die Tasten. Roven verstand nicht, wie man sich den ganzen Tag mit Computern beschäftigen konnte.
„Hallo Prinzessin, hast du gut geschlafen?“, fragte Jason, ohne sich umzudrehen.
Roven verkniff sich ein Grinsen. „Ging so. Es gibt also noch keine guten Nachrichten.“
„Nein, immer noch keine Spur von Lennart. Was hast du jetzt vor? Willst du nach ihm suchen?“ Jason wirbelte herum und lehnte sich im Sessel zurück. Theoretisch war Roven lediglich sieben Jahre älter. Doch jedes Mal, wenn er in die aufgeweckten Augen des Jungen sah, fühlte sich der Akkadier wie ein Auslaufmodell, das in der heutigen Zeit nur noch mühsam mithalten konnte.
„Ich kann hier nicht untätig ’rumsitzen, während einem meiner Brüder gerade wer weiß was angetan wird. Er würde das Gleiche für mich tun.“
„Da wär’ ich mir nicht so sicher“, scherzte Jason. „Wie willst du ihn finden?“
„Es gibt ja keine Anhaltspunkte. Wir können froh sein, dass Jolina mich überhaupt darüber informiert hat, dass er verschwunden ist. Ich werde in der Innenstadt anfangen und solange suchen, bis
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