Seelengrab (German Edition)
Entscheidung, denn das Plätzchen war staubtrocken.
„Nein, ich bin Frührentnerin“, entgegnete Frau Janssen und ließ die Fotografie sinken.
Dann nahm sie sich eine Kondensmilch, stach mit dem Daumennagel ein Loch in den Aluminiumdeckel und ließ den Inhalt in ihre Tasse laufen.
„Verstehe“, entgegnete Hirschfeld und schob den Rest des Plätzchens in den Mund. Er wollte nicht undankbar erscheinen.
„Wir wissen, dass Sie an diesem Abend im Einkaufszentrum in Pützchen gewesen sind“, fuhr Kirchhoff mit der Befragung fort.
„So? Na, wenn Sie es sagen, möchte ich Ihnen mal glauben“, entgegnete Frau Janssen und leckte sich den Daumen ab.
„Die junge Frau auf dem Bild war zu diesem Zeitpunkt auch im Supermarkt.“
„Aha.“
„Vielleicht ist Sie Ihnen aufgefallen?“
Annelise Janssen blickte auf ihren Schoß, auf dem immer noch Susannes Foto ruhte.
„Nein“, sagte sie schließlich. „Tut mir schrecklich leid. Das Gesicht kommt mir irgendwie bekannt vor, ja, aber ich kann mich beim besten Willen nicht an das Mädchen erinnern. Was ist denn passiert?“
„Wir möchten Sie nicht beunruhigen, Frau Janssen“, begann Kirchhoff.
Die Situation schien ihm aus irgendeinem Grund unangenehm zu sein.
„Schon gut, reden Sie ruhig weiter!“, erwiderte sie und holte ein Stofftaschentuch aus dem Ärmel, das nach 4711 roch, um sich damit den Mund abzutupfen.
„Die junge Frau ist ermordet worden. An dem besagten Abend ist sie nach dem jetzigen Stand unserer Ermittlungen zum letzten Mal lebend gesehen worden.“
„Oh“, sagte Frau Janssen tonlos und hielt in ihrer Bewegung inne. „Das ist ja furchtbar.“
Sie strich sanft mit der Hand über die Fotografie, bevor sie das Bild an Kirchhoff zurückreichte. In der einsetzenden Stille klingelte plötzlich Kirchhoffs Handy. Er entschuldigte sich, griff in seine Jacketttasche und ging an den Apparat.
„Kirchhoff.“
Er hörte schweigend zu. Als er wieder auflegte, wusste Hirschfeld, dass ihr Besuch jetzt zu Ende war.
44
Polizeioberkommissar Andreas Hansen drückte sich tiefer in den Beifahrersitz und warf einen Blick auf seine junge Kollegin. Kristin Maus war Polizeikommissaranwärterin im zweiten Jahr und absolvierte gerade eines ihrer Praktika. In den wenigen Wochen, die Hansen sie kannte, hatte er schnell feststellen können, dass Kristin nicht nur ehrgeizig war, sondern auch einen ausgesprochenen Sturkopf hatte. Gerade hatte sie sich die Autoschlüssel geschnappt und sich kommentarlos hinters Steuer gesetzt.
„Kommst du klar?“, erkundigte er sich und trommelte, den Arm unter dem Seitenfenster abgestützt, mit den Fingern auf die Verkleidung. Es machte ihn nervös, dass er nicht fahren konnte.
„Sicher, Andi“, gab Kristin zurück und ließ den Streifenwagen rückwärts aus der Parktasche rollen. „Im Übrigen habe ich meinen Führerschein bereits seit drei Jahren.“
„Was? Du hast deinen Führerschein mit 15 gemacht?“, flachste Hansen.
Kristin Maus fuhr zur Ausfahrt des Parkhauses und zog es vor zu schweigen. Hansen war ein netter Kerl, aber er hatte die unangenehme Angewohnheit, die Mitmenschen in seiner Umgebung kleinzuhalten, wenn es nicht gerade seine Vorgesetzten waren.
„Ist das Fräulein jetzt eingeschnappt?“, wollte Hansen wissen, als er keine Antwort bekam. Immerhin hatte ihre Nachtschicht gerade erst begonnen.
Sie hatten inzwischen die Königswinterer Straße erreicht und ließen das hellerleuchtete Bonner Polizeipräsidium hinter sich zurück. Kristin setzte den Blinker, um sich in den Verkehr einzufädeln.
„Hast du was gesagt? Ich hab grad nicht zugehört“, erwiderte sie.
„Also, ich meinte …“
Kristin Maus schenkte Hansen einen spöttischen Seitenblick, der ihn sofort verstummen ließ. Dann verlangsamte sie das Tempo und ordnete sich in den Kreisverkehr ein. Wenig später passierten sie die Bahnunterführung und waren fast an der Kreuzung angelangt, als die Ampel auf Rot umschaltete.
Als die junge Polizistin routinemäßig in den Rückspiegel sah, stutzte sie plötzlich.
„Andi, ist das nicht der Audi 100, der zur Fahndung ausgeschrieben ist?“, fragte sie, während sie den Wagen hinter ihnen beobachtete.
„Welcher Audi?“
„Na, der von dem toten Mädchen am Rhein.“
„Wo?“
„Direkt hinter uns“, gab Kristin zurück und senkte die Stimme, als könne sie jemand außerhalb des Streifenwagens hören.
Andreas Hansen sah in den Seitenspiegel. Wenn Kristin Recht hatte, mussten sie sich bedeckt
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