Seelengrab (German Edition)
Hirschfeld lief neben Schröder und hörte Kirchhoff hinter sich keuchen.
„Alles klar?“, rief er und leuchtete nach hinten. „Wir sind gleich da.“
Kirchhoff nickte nur stumm im Schein des Lichtkegels. Kurz darauf erreichten sie die Parzelle von Annelise Janssen. Am hinteren Ende des eingezäunten Grundstücks stand ein dunkelgrauer Wohncontainer mit einer Reihe Fenster, die von innen verhangen waren.
„Das ist es!“, flüsterte Schröder laut.
Eine SEK-Einheit tauchte schemenhaft aus der Dunkelheit auf. Einer der Männer trat hervor und ließ die Stahlramme gegen die Tür krachen. Quietschend schwang die Tür auf. Die Walther P99 in der einen, die Taschenlampe in der anderen Hand betrat Hirschfeld vorsichtig den Container.
„Marie?“, rief er in die Dunkelheit und suchte die Laube mit dem Strahl der Taschenlampe ab.
In der Mitte des Raumes, der nur spärlich möbliert war, entdeckte er eine 150 mal 70 mal 60 Zentimeter große Holzkiste, die mit einem schweren Vorhängeschloss gesichert war. Ursprünglich diente sie sicher der Aufbewahrung von Gartengeräten. Hirschfeld konnte sich allerdings denken, was sich jetzt darin befand.
„Hierher!“
Damit winkte er den SEK-Beamten aufgeregt zu sich.
Der Mann kniete sich neben Hirschfeld.
„Seien Sie bitte vorsichtig!“
Der SEKler nahm wortlos Maß, setzte den Rammbock an und schlug zu. Das Schloss sprang auf und fiel mit einem metallischen Geräusch zu Boden. Hirschfeld öffnete den Riegel und klappte den Deckel der Kiste hoch. Obwohl Hirschfeld gehofft hatte, Marie hier zu finden, schockierte ihn der Anblick der jungen Frau. Sie war nackt und lag mit angezogenen Beinen auf dem Boden der Kiste. Hände und Füße waren gefesselt. In ihrem Mund steckte ein Knebel. Hastig tastete Hirschfeld mit Zeige- und Mittelfinger an ihrem Hals nach der Hauptschlagader. Nichts.
„Sie atmet nicht mehr!“
Gerade als er die Hand wieder wegziehen wollte, spürte er ein leichtes Pochen.
„Sie hat noch Puls!“, brüllte Hirschfeld. „Schnell, schafft sofort die Sanitäter her!“
Maries Augen flatterten. Ihr Brustkorb hob sich unmerklich. Darauf folgte ein schwaches Seufzen, das aus ihrer Kehle drang.
„Nicht sprechen! Es ist vorbei – du bist in Sicherheit!“, sagte Hirschfeld und strich Marie sanft über den Kopf. Dann griff er nach einer blau-rot karierten Wolldecke, die über einer Stuhllehne hing, und deckte die junge Frau zu.
Epilog
Anderthalb Wochen später blickte Hirschfeld sich ein letztes Mal in seinem Hotelzimmer um. Während er den Deckel seines Koffers schloss und die Tür öffnete, dachte er an Marie Reichert. Die junge Frau war bereits nach drei Tagen aus dem Krankenhaus entlassen worden. Körperlich schien Marie unversehrt, aber die Narben, die die Entführung auf ihrer Seele hinterlassen hatte, würden nicht so schnell verheilen.
Als Hirschfeld auf den Flur trat, kam Kirchhoff ihm entgegen.
„Alles gepackt?“, nahm er ihn in Empfang.
„Ja, war ja nicht viel“, antwortete Hirschfeld und blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Fast hätte ich mich an dieses Hotelleben gewöhnen können.“
„Ja, mein Lieber, so weit kommt es noch“, entgegnete Kirchhoff und nahm Hirschfeld eine Reisetasche ab, die über seiner Schulter hing. „Ich bin gespannt auf deine neue Bleibe. Wann kommt Johanna dich besuchen?“
„Morgen. Schau doch auch auf einen Kaffee vorbei, dann lernt ihr euch mal persönlich kennen. Renee ist übrigens auch eingeladen.“
Kirchhoff legte den Kopf schief und setzte ein Lächeln auf.
„Die schöne Fotografin?“
„Ja.“
„Jetzt weiß ich, wie der Hase läuft. Soll ich vielleicht irgendetwas zur Einweihung deiner Wohnung mitbringen? Abgesehen von ein paar Kerzen für ein wenig romantische Stimmung natürlich.“
„Sehr witzig. Vielleicht deine Kaffeemaschine und vier Tassen?“
Sie hatten inzwischen die Treppe erreicht und stiegen hintereinander die schmalen Stufen hinunter. Auf dem zweiten Absatz fragte Kirchhoff unvermittelt:
„Hast du eigentlich in der Zwischenzeit die Polizeiakte über deinen Vater gelesen?“
Hirschfeld blieb stehen und drehte sich zu seinem Partner um.
„Nein“, gab er zurück. „Ich habe die Blätter heute Morgen im Papierkorb verbrannt.“
„Du hast deine Beziehungen spielen lassen, um die Akte anschließend ungelesen zu vernichten?“
„Ja, Einsamkeit hat viele Namen. Aber jetzt bin ich hier und werde mich um den alten Herrn kümmern.“
„Du hast also vor,
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