Seelengrab (German Edition)
die Zufahrt, vor der mehrere Fahrzeuge zum Stehen gekommen waren. Durch das riskante Überholmanöver hatte der Audifahrer einige Meter Vorsprung gewonnen, der jedoch zusehends schwand, da der Streifenwagen deutlich mehr PS unter der Haube hatte.
„Ich möchte wissen, was der Typ vorhat“, meinte Kristin, nachdem sie auf der Brücke mehreren Fahrzeugen ausgewichen war und sich direkt hinter den Audi gesetzt hatte.
Nur noch eine Wagenlänge trennte sie jetzt voneinander.
„Wenn er keinen Unfall baut, wird er so lange weiterfahren, bis der Tank leer ist.“
„Das sind ja schöne Aussichten.“
„Der Kerl hat offenbar nichts zu verlieren“, entgegnete Hansen, als sie fast das Ende der Ausfahrt Auerberg erreicht hatten.
Ohne Vorwarnung bremste der Audi scharf und bog in letzter Sekunde in die Abfahrt ein.
„Das hast du dir wohl so gedacht“, trat Kristin ebenfalls auf die Bremse und brachte den Streifenwagen schlingernd auf die abschüssige Ausfahrt, an deren Ende mehrere Fahrzeuge vor einer roten Ampel standen.
Die Bremslichter des Audi 100 leuchteten auf. Im nächsten Augenblick blieb der Wagen stehen. Die Fahrertür schwang auf. Kristin bremste. Fast gleichzeitig rissen die beiden Polizisten die Autotüren auf und sprangen aus dem Streifenwagen. Sofort zogen sie ihre Walther P99 aus dem Halfter und sprinteten dem Flüchtenden an den wartenden Fahrzeugen vorbei hinterher.
„Sofort stehen bleiben und die Hände hinter den Kopf!“, schrie die junge Polizistin.
Der Audifahrer erstarrte. Sein Brustkorb hob und senkte sich heftig, als er seine Arme langsam hinter dem Kopf verschränkte. Zwei Sekunden später waren die Beamten bei ihm. Während sich das Heulen mehrerer Polizeisirenen der Autobahnausfahrt näherte, überließ Hansen es seiner Kollegin, dem schweigenden Mann die Handschellen anzulegen.
45
Mach die Augen auf. Ganz langsam. Ist alles verschwommen. Wie im Nebel. Bin ich jetzt im Himmel? Mein Mund ist trocken. Die Zunge klebt mir am Gaumen. Versuch zu schlucken, aber der Hals tut mir weh. Ein Gesicht taucht über mir auf. Eine Frau mit einer schwarz-weißen Haube auf dem Kopf. Sie legt den Zeigefinger auf ihre Lippen. Soll nicht sprechen. Kann gar nicht reden. Will auch nicht. Will lieber meine Hände bewegen, aber es geht nicht. Drehe mich zur Seite. Liege in einem fremden Bett. Und meine Hände sind gefesselt! Ich möchte schreien, bekomm aber nur ein Krächzen zustande. Die Frau streichelt mir über den Arm. Sie ist sehr alt. Obwohl sie lächelt, fürchte ich mich vor ihr. Irgendwas hält sie in der Hand. Kann nicht genau erkennen, was es ist. Sie kommt näher damit. Es ist ein durchsichtiges Ding mit einer langen Nadel. Was hat sie vor? Sie redet leise auf mich ein. Ich zieh an meinen Fesseln und werf den Kopf hin und her. Tränen laufen mir übers Gesicht. Dann sticht sie zu.
46
Jens Schröder erwartete Hirschfeld und Kirchhoff bereits im Nebenzimmer in einem der fensterlosen Verhörräume des Bonner Polizeipräsidiums. Die Neonleuchte unter der Decke tauchte den Raum, der nur mit einem weißen Tisch und drei Stühlen auskam, in kaltes Licht.
„Hallo, Jens“, begrüßten sie Schröder, der seinen linken Unterarm auf Augenhöhe gegen die Wand stützte und den Verdächtigen durch die Spiegelscheibe hindurch beobachtete.
„Peter, Lutz“, grüßte er zurück.
„Wissen wir schon, wer er ist?“, wollte Hirschfeld als Erstes wissen.
Nach Schröders Anruf hatten sich die beiden sofort von Annelise Janssen verabschiedet und waren zum Polizeipräsidium aufgebrochen. Die Nachricht, dass der Wagen von Susanne Bach aufgetaucht war, hatte sich schnell herumgesprochen und die Mordkommission in hektische Betriebsamkeit versetzt. Der Audi 100 war bereits abgeschleppt worden und auf dem Weg in die KTU.
„Ja. Anhand seines Führerscheins war es nicht schwer, seine Identität zu klären: Heiko Berg, 30 Jahre alt, wohnhaft in Pützchen, Gelegenheitsarbeiter, zuletzt beschäftigt als Gabelstaplerfahrer bei KAUTEX.“
Hirschfeld zog die Augenbrauen hoch.
„KAUTEX ist ein Automobilzulieferer aus der Region“, klärte Kirchhoff seinen Partner auf.
„Irgendwelche Vorstrafen?“, erkundigte Hirschfeld sich weiter.
„Mehrere an der Zahl“, antwortete Schröder und fuhr sich mit der Hand über seinen grauen Dreitagebart.
„Als da wären?“
„Sachbeschädigung, ein paar Diebstähle und Einbruchsdelikte“, zählte Schröder auf, ohne Heiko Berg aus den Augen zu lassen.
„Also eher die
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