Seelengrab (German Edition)
Frauchen.
„Frau Janssen?“, fragte Kirchhoff.
Der Hund fing an zu knurren. Die Frau hielt ihm die Schnauze zu und lächelte:
„Kommen Sie nur herein in die gute Stube!“
Kirchhoff und Hirschfeld traten sich auf der abgenutzten Fußmatte, auf der eine Entenfamilie von links nach rechts watschelte, die Schuhe ab. Sie folgten der Frau durch einen schmalen Flur in ein kleines Wohnzimmer, das fast vollständig von einer sonnengelben Polstergarnitur eingenommen wurde. An der Stirnseite des Zimmers drängte sich eine Schrankwand aus Eichefurnier. In einem Fach mit geöffneter Doppeltür stand ein alter Röhrenfernseher, über den ein Zeichentrickfilm flimmerte. Frau Janssen hatte den Ton abgestellt.
„Nehmen Sie doch schon einmal Platz, ich mache uns rasch einen Kaffee“, sagte sie und ließ die beiden Kriminalhauptkommissare allein.
Hirschfeld und Kirchhoff versanken im Polster des schmalen Sofas und hörten, wie ihre Gastgeberin den Hund auf dem Boden absetzte. Seine Krallen kratzten über das Parkett, als er ihr in die Küche folgte.
„Ich weiß nicht, ob ich hier gleich noch mal hochkomme“, sagte Kirchhoff gedämpft und zog ein Häkelkissen unter seinem Gesäß hervor, um es neben der Couch verschwinden zu lassen.
Hirschfeld grinste in seine Richtung und sah sich um. Sein Blick wanderte über eine handgedrechselte Stehlampe aus den 70er-Jahren mit Stoffschirm mit Fransen und blieb an einem gerahmten Ölgemälde hängen. Darauf war ein kristallklarer See zu sehen, der sich an einen Waldhang mit Buchen schmiegte. Sonnenstrahlen brachen durch das Blätterdach und fielen im Hintergrund auf eine Lichtung mit einer grünen Wiese. Schön. Und wahrscheinlich das einzig Wertvolle in diesen vier Wänden. Hirschfeld richtete seine Aufmerksamkeit auf den Zeitschriftenstapel, der vor ihnen auf dem Wohnzimmertisch lag. Er hob einige Hefte und entdeckte ein paar Zeitungsausschnitte. Kochrezepte und mehrere Todesanzeigen, die Hirschfeld flüchtig betrachtete. Sie stammten aus verschiedenen Zeitungen und betrafen alle denselben Todesfall.
„Amerikanischer Präsident mit fünf Buchstaben?“, fragte Kirchhoff, der in einem Kreuzworträtselheft blätterte.
Bevor Hirschfeld etwas erwidern konnte, kehrte Annelise Janssen mit einem bedruckten Kunststofftablett zurück. Darauf standen eine Thermoskanne, drei Kaffeetassen, ein paar Portionsdöschen Kondensmilch, ein zerdrückter Pappkarton Würfelzucker und ein Unterteller mit Plätzchen.
„So, da bin ich wieder“, sagte Frau Janssen und stellte das Tablett auf dem Tisch ab.
Während sie die Tassen verteilte und den Kaffee einschenkte, trippelte ihr Schoßhündchen zu seinem Körbchen, das neben dem Wohnzimmertisch vor der Wand stand, und legte sich zitternd auf das Kissen. Der Hund hatte sich offenbar beruhigt, ließ die beiden Kriminalhauptkommissare jedoch keine Sekunde aus den Augen. Hirschfeld schätzte, dass Frau Janssen keine Genehmigung hatte, das Tier in ihrer Wohnung zu halten.
„Milch und Zucker?“
„Für mich nicht, danke“, antwortete er.
Kirchhoff, der seinen Kaffee normalerweise mit einem Schuss Milch genoss, verzichtete ebenfalls und klappte das Kreuzworträtselheft wieder zu. Als Frau Janssen sich ihnen gegenüber im Sessel niedergelassen hatte, erkundigte sie sich:
„Wer sind Sie gleich noch mal?“
Die Frage klang nicht unfreundlich, dachte Hirschfeld, eher naiv. Annelise Janssen schien nicht oft Besuch zu bekommen.
„Wir sind hier, weil wir Ihnen ein paar Fragen stellen möchten. Möglicherweise sind Sie eine wichtige Zeugin“, erklärte Kirchhoff und holte das Foto von Susanne Bach aus seiner Jacketttasche.
Das Hündchen begann wieder zu knurren. Annelise Janssen wies ihren Liebling mit einem kurzen Kommando zurecht. Dann griff sie nach ihrer Lesebrille, die an einer dünnen goldenen Kette um ihren Hals hing, und betrachtete das Bild mit hochgezogenen Augenbrauen durch die Gläser.
„Können Sie sich an den Mittwoch vor Weiberfastnacht erinnern?“, erkundigte sich Kirchhoff und nippte an seinem Kaffee.
Frau Janssen musterte immer noch die Fotografie.
„Wie bitte?“
Kirchhoff wiederholte seine Frage und stellte die Tasse vorsichtig auf dem Wohnzimmertisch ab.
„Tja, wissen Sie“, erwiderte sie und lächelte entschuldigend. „In meinem Leben passiert nicht viel. Da gleicht so gut wie jeder Tag dem anderen.“
„Arbeiten Sie nicht?“, wollte Hirschfeld wissen.
Er nahm sich einen Keks. Nach dem ersten Biss bereute er seine
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