Seelenhüter
dunklen Bart und dichtem schwarzem Haar, das ihm wirr vom Kopf abstand. Seine Kleidung war verschmutzt, doch von bester Qualität und ganz offensichtlich erst kürzlich so zugerichtet worden. Der Mann drehte sich orientierungslos auf den Rücken, wahrscheinlich war er betrunken. Dann streckte er beide Hände aus und versuchte, sich hochzuziehen, rutschte jedoch nur hilflos zurück in die Wanne. Seine Hände waren vernarbt und schmutzig, sein Atem ging schwer. Nun stieß er einen Fuß in die Luft, um sich aufzurichten, fiel jedoch mit einem scharfen Lachen erneut zurück. Seine Augen glühten durchdringend wie die eines wilden Hundes.
Der Mann erbrach sich und würgte schwer, da ihm die Kraft fehlte, sich aufzusetzen oder zur Seite zu rollen. Während er hustend um sein Leben kämpfte, schien es Calder, als hätte er erneut zu lachen begonnen. Die Luft wirbelte um sie herum. Er beobachtete den Mann, wollte Mitgefühl empfinden, konnte jedoch nur niedergeschmettert an Glory denken. Der Geisterwind legte sich so unvermittelt, dass Calder beinahe selbst in die Wanne gestürzt wäre. Der Mann hatte die wilden Augen nun starr an die fleckige Zimmerdecke gerichtet.
»Das ist seltsam.« Die Seele des Mannes richtete sich halb aus dem menschlichen Körper auf und grinste Calder an. »Ich dachte, ich würde ermordet werden.« Er lachte laut auf. »Keiner wird glauben, dass es der Alkohol war.« Dann musterte er seinen Begleiter eingehender. »Ich könnte mal kurz Hilfe gebrauchen, mein Freund.«
Er streckte die Hand nach Calder aus, der sie ergriff und die Seele des Mannes aus dem Körper zog.
»Woher kommst du?«, fragte der Mann. Als Geist sah er genauso aus wie als Lebender – dieselbe Kleidung, ungewaschen, langes schwarzes Haar, wilder und ungekämmter Bart, feurige Augen.
»Ich bin dein Begleiter«, sagte Calder. »Ich bin hier als deine Eskorte.«
»Aha.« Der Mann musterte sein Gegenüber von Kopf bis Fuß und schien wenig beeindruckt – er hatte Calder mit derselben Kleidung wie sich ausgestattet: schmutziger Mantel und lehmige Stiefel. Als der Mann zu seinem Körper sah, seufzte er ohne erkennbaren Schrecken. »Was für eine Schande«, sagte er, »ich habe das Leben doch so genossen.« Dann wandte er sich mit alarmierender Aufregung an Calder. »Doch jetzt werde ich alles erfahren!« Er klatschte in die Hände. »Los, führ mich.«
Riesige Doppeltüren mit Rosenschnitzereien und Elfenbeineinlagen waren in die bis eben noch massive Badezimmerwand eingelassen. Calder ergriff die Hand des Mannes und schloss die Tür zur Passage auf. Der Korridor, der sie erwartete, war mit weißem Satin ausgelegt und roch nach süßem Tabak und gewürztem Wein. Warme Luft umwehte sie, als Calder die Tür hinter sich verschloss.
»Wunderschön«, sagte der Mann. »Wie heißt das hier?«
Calder hatte bereits Tausende solcher Fragen gestellt bekommen.
Ist das der Himmel? Wo sind die Heiligen? Werden mir Flügel wachsen? Warum hat Gott mich nicht persönlich empfangen?
Doch noch nie hatte ihn jemand nach dem Namen der Passage gefragt.
»Das ist die Passage in den Himmel«, erwiderte er.
»Tatsächlich?« Der Mann grinste, neugierig sah er sich um, bis das Theater erschien. Auf der linken Seite verwandelten sich die Wände, an denen Kerzen flackerten, in ein Puppentheater. Zwischen den kleinen Samtvorhängen und dünnen Holzwänden, die mit goldenen Cherubim bemalt waren, kämpften zwei Puppen aufgebracht miteinander. Beide Gestalten trugen dunkle Umhänge, zerzauste schwarze Perücken und lange Backenbärte. Beide hatten große, dunkle Augen und zu einem Grinsen verzogene Münder. Die eine Puppe verwendete ein hölzernes Kreuz als Waffe, die andere eine winzige Weinflasche. Sie verfolgten einander auf der kleinen Bühne, laut lachend und kreischend.
Der Mann hielt inne, beobachtete die Aufführung und ließ Calders Hand los, um den Darstellern zu applaudieren. Die Puppe mit dem Kreuz wurde von der mit der Weinflasche niedergeschlagen. Sie sank über den Rand der Bühne und ließ das Kreuz fallen. Die andere Puppe schob ihren Gegner hinter das winzige Proszenium und tanzte euphorisch auf und ab.
Der Mann mit den wilden Augen lachte, als die zweite Puppe wie tot umfiel. »Der kleine Idiot.« Dann rieb er die Handflächen aneinander und lief weiter. »Das ist ein seltsamer Korridor, nicht wahr?«, bemerkte er. »Was befindet sich auf der anderen Seite dieser Wände?«
Der Seelenhüter wusste nicht, wie er es ihm erklären
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