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Seelenhüter

Seelenhüter

Titel: Seelenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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peitschte um ihn herum.
    Die Augen des Jungen schlossen sich, und er drehte sich auf die Seite, den Rücken seinem Begleiter zugewandt. Kurz darauf legten sich die Winde. Die Vorhänge vor den geschlossenen Fenstern bewegten sich sanft, und das Bett erschauerte leicht, als wären beide Teile des Geistersturms gewesen. Dabei war es für einen Wind aus der Geisterwelt gar nicht möglich, die Welt der Erdgebundenen zu beeinflussen.
    Heute geschahen viele unmögliche Dinge.
    Calder war zutiefst schockiert über das, was er getan hatte. Der Junge würde weiterleben, doch er hatte ihn zum Bleiben gezwungen. Zu seinem Entsetzen stöhnte der Kranke auf und begann zu weinen. Glory nahm ihn in die Arme, schloss die Augen und wiegte ihn sanft hin und her, bis er sich entspannte.
    »Werte Dame«, flüsterte Calder. »Zeigen Sie mir, dass Sie mich hören.«
    Glory öffnete abrupt die Augen. Sie hatte seine Stimme vernommen, da war er ganz sicher. Er kniete sich ihr gegenüber neben das Bett, damit sie ihm ins Gesicht sah.
    Der Schlüssel begann erneut zu zittern und zu zucken. Calder versuchte, die Hand nach ihr auszustrecken und sie zu berühren, doch er wurde zurückgezogen, als ob er gegen die Strömung schwimme. Die Tür beorderte ihn zu früh zurück. Sie hatte ihm in die Augen gesehen und seine Stimme gehört, doch er musste ihr noch den Schlüssel geben. Er fürchtete, dass die Passage ihn verriet. Gott hatte ihm diese Frau als seinen Lehrling zugewiesen, sie war etwas Besonderes.
    Doch jetzt, als er von Glory weggezogen wurde, vertraute Calder Gott nicht mehr. Seit Anbeginn der Zeit hatte er auf diese Frau gewartet, und er verdiente es, bei ihr zu sein. Ein verruchter Gedanke durchfuhr ihn – er wünschte, Glory hätte im Sterben gelegen und nicht ihr Schützling. Das hätte die Übergabe des Schlüssels einfacher gemacht.
    Calders eigener Schlüssel, der erst über die Brust und dann weiter über die Schulter kroch, schwebte nun an der Kette und deutete auf die Tür hinter ihm, als ob ihn etwas von der anderen Seite ansaugte. Die Tür stand – unsichtbar für die Erdgebundenen, aber viel zu real für Calder – massiv und stumm zwischen Bett und Fenster.
     
    »Ich weiß, dass Sie mich hören«, sagte der Seelenhüter. Diesmal sah Glory nicht durch ihn hindurch – sie sah ihn direkt an. Sie musste einfach. »Und ich weiß, dass Sie mich sehen können.« Er konnte in ihrem Herzen lesen. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass der Junge überlebte und gesundete. Sie war die Hüterin des Jungen und würde nach seiner Rettung von ihren Qualen erlöst werden. Er streckte ihr erneut eine Hand über das Bett hinweg hin. »Der Junge wird am Leben bleiben. Sie können ihn jetzt zurücklassen.«
    Eine Träne rann Glory über die Wange. Ihr Blick war auf etwas hinter Calders Gesicht gerichtet, doch sie streckte die Hand nach ihm aus, just in dem Moment, als die Tür ihn nach hinten zog, aus ihrer Reichweite. Anstatt seine Finger zu berühren, griff sie nach der Decke und zog sie enger um das Kind.
    Calder versuchte, sich von der Tür wegzuschieben, doch er war zu schwach. Er stand an das Holz gepresst, wurde nach hinten gezerrt und zitterte vor Wut und Frust, während er beobachtete, wie Glory dem Jungen etwas zuflüsterte. Er steckte den Schlüssel ins Schloss, trat über die Schwelle, und schon schlug die Tür hinter ihm zu. Ihm war schlecht vor Enttäuschung. Keinen letzten Blick, doch ein Wort hatte er erhascht:
    »Alexis.«

4.
    H inter der Tür wartete nicht der Gebetsraum auf ihn.
    Calder betrat einen neuen Todesschauplatz. Auf der Erde schrieb man das Jahr 1916 , und der Frost an den Fensterscheiben sagte ihm, dass es Winter sein musste. Er befand sich in einem kleinen, düsteren Raum. Auf der Straße unter dem Fenster spielte sich eine Szene wie aus einer anderen Welt ab. Überall waren Pferde und Fuhrwerke, dazwischen vereinzelte Automobile und in dicke Mäntel gehüllte Menschen. Calder schien allein zu sein. Er sah ein Waschbecken, eine Kommode und eine Badewanne, in der sich schmutzige Wäsche türmte, doch keinen sterbenden Menschen. Er hatte den Jungen zum Leben gedrängt und seine Todestür ignoriert, und jetzt war er gestrandet. Dass er die Seele zwar gerettet, Glory jedoch verloren hatte, lastete schwer auf ihm.
    Da erschien eine Hand aus dem Wäscheberg und klammerte sich an den Badewannenrand. Calder beobachtete, wie der Mann versuchte, sich auf die Seite zu drehen. Er war groß, mit einem langen,

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