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Seelenhüter

Seelenhüter

Titel: Seelenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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den Rock einer ihrer Schwestern zu fassen bekommen. Die anderen rannten wild durch das Zimmer und stießen laut juchzend gegeneinander.
    »Seid vorsichtig«, mahnte die Älteste, als ihr Bruder beinahe hingefallen wäre.
    Dann sah sie Calder, winkte ihn in den Raum und deutete auf einen Stuhl neben ihrem Tisch. Als er einen Schritt nach vorn machte, fielen ein Beistelltisch und zwei Bücher vor ihm zu Boden. Er bückte sich, um alles aufzuheben, da fühlte er eine Hand an seinem Ärmel.
    »Hab dich!« Das jüngste Mädchen hielt ihn fest im Griff.
    Die anderen beiden schnappten erschrocken nach Luft.
    »Ana!«, tadelte die eine, doch die Kleine ignorierte sie.
    Vor Angst starr ließ Calder zu, dass sie ihm mit der Hand über den Ärmel strich.
    Ana lachte, ließ jedoch die Augenbinde an ihrem Platz. »Wer ist das?« Ohne zu zögern, streckte sie die Hand aus und berührte Calders Gesicht. Mit ihren zarten Fingern fuhr sie ihm über den Bart, die Wangenknochen und die Stirn, drückte sanft auf die Lider. Grinsend hielt sie inne. »Vater Grigori«, verkündete sie.
    Calder konnte eine Schwester jubeln hören, wandte den Blick jedoch nicht von Ana ab.
    Sie zog sich die Binde vom Kopf, trat dann aber mit gerunzelter Stirn einen Schritt zurück. »Wer sind Sie?«
    »Sei nicht so unhöflich«, sagte die älteste Schwester.
    »Ich kenne Sie«, flüsterte Ana.
    Der Satz riss Calder aus seiner Starre, und ihm fiel auf, dass Alexis ganz still und bleich war.
    »Sie waren am Krankenbett meines Bruders«, sagte sie ohne jeden Zweifel. »Sie waren der Geisterarzt.«
    »Ich habe dir doch gesagt, dass es die ganze Zeit Vater Grigori war«, sagte die älteste Schwester. Erklärend fügte sie an Calder gewandt hinzu: »Sie hat uns immer wieder von dem Geisterarzt erzählt, der durch eine magische Tür kam.«
    »Alexis hat ihn auch gesehen«, protestierte Ana und bedeutete ihrem Bruder, näher zu kommen. Der Junge wirkte immer noch erschüttert, trat jedoch an Anas Seite, ohne den Blick von Calders Gesicht abzuwenden. »Das ist er doch?«, fragte Ana ihren Bruder.
    Langsam nickte der Junge.
    »Aber er fühlt sich an wie Vater Grigori«, flüsterte Ana. »Mach die Augen zu.«
    Calder war zu verblüfft, um sich zurückzuziehen. Er hatte keine Ahnung, wie Rasputin auf dieses seltsame Geschehen reagiert hätte.
    Alexis schloss die Augen und ließ zu, dass Ana aufgeregt seine zitternden Handgelenke umfasste und mit seinen Fingern über Calders Wangen, Brauen und Haar fuhr. Dann zog der Junge die Hände zurück und öffnete die Augen.
    »Er sieht aus wie der Geisterarzt, doch er fühlt sich an wie Vater Grigori«, flüsterte Ana.
    Alexis nickte, schien jedoch weiter beunruhigt zu sein. Seine Schwester dagegen wirkte völlig fasziniert, als hätte sie gerade das achte Weltwunder entdeckt.
    »Wie?«, fragte Alexis.
    Ana lächelte Calder an, als ob sie eine Antwort von ihm erwarte.
    »Geht Vater Grigori nicht auf die Nerven«, sagte das älteste Mädchen. »Und bitte schafft hier Ordnung, bevor Mutter es sieht.«
    Calder versuchte, den zwei jüngsten Kindern väterlich zuzulächeln, doch ganz offensichtlich konnte er sie nicht täuschen. Ana verschränkte störrisch die Arme, und Alexis musterte ihn so voller Angst, dass er sich fragte, ob der Junge sich die Schmerzen in Erinnerung rief, die er damals hatte erleiden müssen.
    »Worüber sprechen die beiden?«, fragte eine der älteren Schwestern die andere.
    Ana wandte sich ihnen zu. »Könnt ihr denn nicht sehen, dass das hier nicht Vater Grigori ist?«
    Calder zog sich so schnell und leise wie möglich aus der Bibliothek zurück. Im Korridor hielt ihn ein Bediensteter auf: Die Kaiserin wünschte mit ihm im Garten spazieren zu gehen. Da er keinen Mantel bei sich hatte, wurde ihm einer aus dicker schwarzer Wolle gebracht, der ihm bis fast zu den Knöcheln reichte. Als er im Korridor auf die Kaiserin wartete, sah er einen Mann in einer Marineuniform in der Bibliothekstür stehen. Er verbeugte sich knapp vor Calder und geleitete dann Alexis den Gang entlang.
    Da er sich in dem Palast gefangen fühlte, wartete Calder auf der Außentreppe auf Alexandra. Eine Stimme schreckte ihn in dem kalten grauen Licht auf.
    »Moment!« Ana rannte mit einer kleinen Kamera in den Händen auf die Stufen. Mit hochgezogener Augenbraue fotografierte sie ihn und stürzte genauso abrupt ins Haus zurück.
    * * *
    Alexandra, in einen langen braunen Mantel mit Pelzkragen gehüllt, gesellte sich zu Calder und hakte sich

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