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Seelenhüter

Seelenhüter

Titel: Seelenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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ich retten muss.«
    »Zu spät«, erwiderte Rasputin. »Er ist weg.«
    Calder fühlte sich auf einmal ganz schwach vor Einsamkeit. »Wirst du mir helfen?«, fragte er Rasputin.
    Ein spöttisches Lachen war die Antwort. »Ich bin viel zu beschäftigt.« Dann wurde Rasputins Gesicht etwas sanfter. »Aber ich werde dich wieder besuchen. Beim nächsten Mal bringe ich Gesellschaft mit.«

10.
    C alder öffnete die Augen und blickte an die massive Zimmerdecke. Er versuchte, durch die Wand zu Maria hinüberzuspähen, aber zu seiner Erleichterung gelang es ihm nicht. Er war wach, doch unsicher, was ihn geweckt hatte. Rasputin war nirgends zu sehen, die Nacht war wieder ruhig.
    Ein Klopfen an der Tür schreckte ihn auf. Kein leichtes, geisterartiges Scharren, sondern ein wuchtiger Schlag. Er ging nach nebenan, wo er eine Nachricht auf dem Tisch neben einem Teller mit Brot und Obst vorfand. »Konnte dich nicht wecken. Bin zu Greta gegangen. Maria«, las er. Daneben lagen ein Stapel Briefe und ein kleines Päckchen, alles an Vater Grigori adressiert. Calders Herz machte einen Sprung bei dem Gedanken, dass Rasputin recht gehabt haben könnte und er wirklich zwei Tage geschlafen hatte. Menschliche Zeit beschleunigte sich oft, wenn die Begleiter sich auf der Passage in den Himmel befanden – vielleicht war es jetzt auch so gewesen.
    Wieder klopfte es, drängender als zuvor.
    Calder trat näher an die Tür, öffnete jedoch nicht. »Wer ist da?«
    »Vater Grigori, ich soll Euch zu Prinz Felix bringen.«
    »Um diese Uhrzeit?«
    »Eure Einladung war für Mitternacht.«
    Calder öffnete die Tür, vor der sich ein lächelnder Mann in einer Chauffeursuniform verbeugte. Es handelte sich jedoch nicht um den Fahrer des Zaren.
    »Ich fühle mich nicht wohl«, erwiderte Calder. »Ich werde ihn nächste Woche aufsuchen.«
    »Aber«, der Mann überlegte einen Moment, als ob er in einer verschlüsselten Sprache sprechen wollte. »Die Dame, die Ihr unbedingt treffen wolltet, wartet auf Euch.«
    »Die Dame?«
    »Ihre Hoheit ist bestrebt, mit Euch zu sprechen.«
    Alexandra hatte Calder gebeten, am nächsten Tag wiederzukommen. Wenn er zwei Tage geschlafen und ihr Treffen verpasst hatte, dann schickte sie jetzt vielleicht nach ihm.
    »Warum diese Geheimnistuerei?«, fragte Calder. »Gibt es ein Problem?«
    »Alles wird in Ordnung kommen«, versicherte ihm der Mann und führte Calder hinunter zu dem wartenden Wagen.
    Auch wenn er genauso groß und dunkel war wie der des Zaren, sah er im Inneren doch vollkommen anders aus. Das Auto der Romanows war nüchtern und leer gewesen. Dieses war mit seltsamen Verlockungen angefüllt – ein Satinkissen, eine Flasche Wodka, ein Glas in einem tiefen Tablett. Sogar eine Zigarre und Zündhölzer gab es.
    »Wird die Fahrt lange dauern?«, fragte Calder.
    »Nein, nicht sehr lange.« Der Fahrer schien sich unbehaglich zu fühlen. Er warf seinem Passagier immer wieder Blicke zu und kam ins Schlingern, als ob er nicht an vereiste Straßen gewöhnt wäre.
    Durch die hinteren Fenster sah Calder die Straße, an deren Seite der Schnee aufgetürmt war, einen vereinzelten Baumstamm und für eine bizarre Sekunde die Unterseite einer großen weißen Eule, die vor der Windschutzscheibe auftauchte und dann weiterflog. Er glaubte auch den blassen Bauch einer Möwe zu sehen, die aus der Luft nach unten stieß, um ein Stück Brot von einer Steinmauer aufzupicken, doch es handelte sich nur um einen Erinnerungsfetzen, so schnell verschwunden, wie er gekommen war.
    Schließlich bog der Wagen in eine schmale Einfahrt ein und fuhr durch ein eisernes Tor. In dem vornehmen und großen Haus brannten nur wenige Lichter. Sie hielten in einem Hof, der von verlassen wirkenden Ställen gesäumt war. Nachdem Calder ausgestiegen war, geleitete man ihn über einen unterirdischen Eingang in das Haus.
    Erst ging es in ein düsteres Vorzimmer, dann durch ein offenes Gewölbe in einen Raum mit niedriger Decke, der mit Polstersesseln und perlenbesetzten Kissen ausgestattet war, wie der Harem eines Sultans. Das Feuer im Kamin brannte zu stark, der Raum war heiß und verraucht. Platten mit Gebäck und eine offene Flasche Wein standen auf dem Tisch. Musik drang vom Obergeschoss herunter, und die Luft war von Räucherwerk und brennenden Kerzen erfüllt. Ein weißes Bärenfell lag vor einer Anrichte, die über und über mit heiligen Ikonen bedeckt war. Darunter stand ein Kreuz aus Kristall – eine unangebrachte Zusammenstellung. Die Höhle war teuer

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